Als Vorausschau auf unser Europawahlprogramm veröffentlichen wir den Entwurf der Präambel, die die grundlegende Ausrichtung unserer Europapolitik umreißt. Rückmeldungen, Fragen und Anregungen dazu sind herzlich willkommen.

Präambel Europawahlprogramm – Entwurf 

 

Europa – Starke Einheit mit Starken Nationen

  1. Europa aus Krisen und Polarisierung führen

Europa geht durch turbulente Zeiten. Innere Spannungen und Risse waren schon lange vor der Flüchtlingskrise erkennbar. Spätestens seit dem Brexit tritt die politische Instabilität der EU immer deutlicher zu Tage. Global tauchen im Blick auf Terrorismus, Umweltfragen und in der Außenpolitik ständig neue Herausforderungen auf, für die „europäische Antworten“ gefunden werden sollen.

Innereuropäisch vertieft sich der Riss zwischen ost- und westeuropäischen Mitgliedsstaaten. In vielen europäischen Ländern wie auch vonseiten der EU werden Regierungen, christlich-demokratische Parteien, Institutionen und Politiker von einer linksideologischen Lobby unter Druck gesetzt, ihr Menschenbild und Konzepte von Humanität im Sinne der Gender-, LGBTI-, Pro-Abtreibungs- und Euthanasiebestrebungen grundlegend zu verändern. Als Reaktion darauf entstehen national-separatistische Parteien, die sich auf die Verteidigung der christlichen Werte Europas berufen, jedoch im Sinne von Besitzstandswahrung und nationalistischer Abgrenzung agieren.

Trotz der damit einhergehenden politischen Spannungen erlebt die europäische Wirtschaft einen erstaunlichen Wachstumsschub. Die Arbeitslosigkeit geht zurück und der Mehrheit der Europäer geht es materiell gut, zumindest im Vergleich mit anderen Regionen der Welt. Nicht umsonst möchten viele Menschen aus anderen Erdteilen deshalb nach Europa kommen und hier leben.

Dieses Wirtschaftswachstum hat allerdings bisher kaum das Gefälle innerhalb der EU zwischen ärmeren und reichen Ländern und die damit einhergehenden Spannungen zwischen Geber- und Nehmerländern verringert. Und insgesamt liegt auf Europas Wirtschaft eine enorme Schuldenlast.

Der Wohlstand Europas insgesamt ist vor allem dem Erbe vergangener Generationen zu verdanken. Die europäischen Gesellschaften haben sich während der letzten Jahrzehnte immer mehr von den geistigen und ethischen Grundlagen entfernt, die einst die Voraussetzung waren für das Gedeihen einer freien und wohlhabenden Gesellschaft. Die zunehmend materialistische und individualistische Ausrichtung der westlichen Gesellschaft hat vor allem eine gefährlich dezimierte junge Generation hervorgebracht, die diesen Wohlstand nicht aufrechterhalten kann.

Als Mitgliedspartei der European Christian Political Movement (ECPM) ist Bündnis C mit gleichgesinnten Parteien in ganz Europa verbunden, die auf nationaler Ebene vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Vor allem Familie und Lebensschutz sind entscheidende Faktoren jeder Gesellschaft und in vielen Mitgliedsstaaten unter Beschuss. Wir wirken mit der ECPM an einer klaren Positionierung zu diesen Themen mit und in der Zusammenarbeit christlicher Parteien und Politiker quer durch Europa.

Im Mai 2018 wurde von der Generalversammlung der ECPM eine von Bündnis C eingebrachte Resolution beschlossen, die den Europäischen Rat anruft, den Gottesbezug und die Referenz auf das jüdisch-christliche Erbe Europas im Vertrag von Lissabon erneut zu bedenken und zu verankern. Wir stehen an einem Wendepunkt der europäischen Geschichte und es ist Zeit, die Grundlagen für die weitere Politik neu zu verhandeln. In der Perspektive unserer christlichen Prägung Europas fragen wir nach tragfähigen politischen Lösungen, die Europa den Weg aus seiner krisenhaften Entwicklung und der Polarisierung weisen können.

  1. Relationismus als innovative Politik- und Wirtschaftsphilosophie

Unser Europawahlprogramm haben wir mit der Vorarbeit von Fachleuten unseres europäischen Netzwerkes der Sallux ECPM Foundation erstellt. Grundprinzip des biblisch fundierten Ansatzes für unsere Europapolitik ist der Relationismus, eine innovative Politik- und Wirtschaftsphilosophie, die wir als Antwort auf gescheiterte Gesellschaftsmodelle des Kapitalismus wie auch des Neomarxismus sehen.

Der Relationismus verkörpert eine beziehungsorientierte Denkweise, der im Kern das Liebesgebot Jesu (Markus 12,30f) zugrunde liegt. Damit zeigen wir einen Weg auf jenseits der einander bekämpfenden ideologischen Positionen in Europa. Wir gehen davon aus, dass die Qualität von Beziehungen auf institutioneller Ebene von der Familie bis hinauf in die Regierungen und die EU eine wesentliche, messbare Form von Kapital bildet, das der Nachhaltigkeit und dem Fortschritt in jedem Bereich zugrunde liegt – politisch, finanziell, wirtschaftlich, kulturell und für die Umwelt.  

In Europa und weltweit wurden politische, ökonomische und soziale Probleme weithin in der Polarität zwischen dem Einzelnen mit seinen Rechten und Freiheiten auf der einen Seite und auf der anderen Seite der Gesellschaft und dem Staat verhandelt, die ihm Ordnungen und Pflichten auferlegen. Genauso verhandeln die Mitgliedsstaaten heute ihre Rechte gegenüber der EU mit ihren Gesetzen und Regelungen. Wo die Mitgliedsstaaten zunehmend Freiheit fordern und die EU die Nationen in gleiche Schablonen pressen will, erschließt der Relationismus hingegen das Potenzial von gegenseitigen, ausbalancierten Beziehungen zwischen den Staaten wie auch der EU.

Die Idee, auf Beziehungskapital zu fokussieren, ist dabei weder sozialistisch noch liberal und sie gehört weder Globalisten noch Nationalisten. In einem tief gespaltenen Europa hat dieser Grundansatz deshalb das Potenzial, Polaritäten zusammen zu bringen. Beziehungsorientiertes Denken bejaht sowohl das Individuum als auch die Gemeinschaft, Rechte und Pflichten, Freiheit und Verantwortung, Kooperation und Wettbewerb und schafft einen Ausgleich zwischen diesen Polaritäten. Auf diese Weise liefert es ein wichtiges Korrektiv zur Sprache der Rechte, die die Ansprüche des Einzelnen und der Nation an die Gemeinschaft ins Zentrum stellt.

Die Wirkung politischer Maßnahmen auf die Beziehungen zwischen Völkern, zwischen Institutionen, zwischen Interessengruppen und zwischen Individuen soll in diesem Denkansatz bei allen Entscheidungen mit reflektiert werden neben wirtschaftlichen, sozialen und Umwelteffekten. Zudem müssen die Auswirkungen auf zukünftige Generationen als legitime Interessengruppe konsequent mitbedacht werden.  

Fast alle Definitionen einer guten Gesellschaft betonen Beziehungsqualitäten wie Vertrauen, Loyalität, Zuneigung, Ehrlichkeit, Großzügigkeit und Gegenseitigkeit – Qualitäten, die auch übereinstimmend nachhaltigem Wirtschaften und effektiven öffentlichen Dienstleistungen zugrunde liegen. Deshalb kann ein politischer und ökonomischer Ansatz, der eine relationale Infrastruktur aufbaut statt sie zu schwächen, der Schlüssel für Europas Zukunft sein.

  1. Ein beziehungsorientierter Plan: Konföderales Europa

Dieser beziehungsorientierte politische Ansatz für Europa knüpft an die Vision der Gründerväter der EU nach dem Zweiten Weltkrieg an. Ihr Hauptanliegen war es, nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges die verfeindeten Nationen Europas zu versöhnen und Krieg unmöglich zu machen. Der Vision lagen zutiefst christliche Motivationen zugrunde, um die Beziehungen zwischen den Ländern Europas zu heilen und eine Gemeinschaft von Völkern zu ermöglichen, die einander in ihrer Souveränität respektieren, aber auch einander unterstützen und gemeinsame Regelungen finden, wo diese für alle Nationen von Vorteil sind.

Heute erleben wir leider einen neuen Imperialismus vonseiten der EU. Viele Vertreter der Europäischen Union wollen großeuropäische Strukturen schaffen und streben einen EU-Bundesstaat an. In den Europäischen Verträgen ist die EU als Konföderation beschrieben, in der die Mitgliedsstaaten freiwillig Kompetenzen an die EU abgeben, wenn diese Bereiche dort effektiver geregelt werden können. Die Tendenz der EU-Politik und leider auch der deutschen Bundesregierung ist jedoch eine Föderation Europa, indem die Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten immer mehr angegriffen werden und das Subsidiaritätsprinzip unterlaufen wird. Diese Zerstörung geschieht schleichend durch die Dominanz der EU-Gesetzgebung über nationales Recht und das forcierte Zusammenschweißen von politischen und Finanzstrukturen. Der Kampf um die Meinungshoheit innerhalb Europas wird ohne konventionelle Waffen, aber über die Beeinflussung der Bevölkerung durch die Massenmedien ausgetragen.

Aus der Geschichte und biblischen Leitlinien zu Großreichen und Nationen entnehmen wir, dass es gut ist, Machtstrukturen und politische Vollmachten von Menschen über Menschen immer so schlank wie möglich zu halten. Um den schädigenden Einfluss menschlicher Machtkonzentration zu reduzieren, wurde die Menschheit in viele Sprachen, Kulturen und Nationen zerstreut (Genesis 10-11). Die Völker wurden geschichtlich gesetzt mit einem begrenzten Auftrag (Apostelgeschichte 17,26). Alle Weltreiche sind in der Geschichte untergegangen und Imperialismus in jeder Gestalt muss scheitern (Daniel 2).

Europa steht heute vor der Herausforderung, sowohl Imperialismus als auch folgenschwere nationale Alleingänge zu verhindern. Dazu können die Nationen Europas eine freiwillige Einheit als Völkerfamilie bilden, jedoch nicht mittels EU-Vorgaben gezwungen werden. Ein starkes Team bildet man nur mit starken Spielern. Jedes Land Europas muss deshalb seine Stärken, Traditionen und Besonderheiten zum Besten für Europa einbringen können, um ein starker „Teamplayer“ sein. Die Europäische Union kann diese Gemeinschaft starker Nationen und deren Beziehungen untereinander fördern oder weiter zerstören durch ein institutionalisiertes EU-Imperium.

Ein christliches Verständnis von Demokratie ist kein parlamentarischer Absolutismus, wo eine Mehrheit über Minderheiten herrscht. Das christlich-demokratische Prinzip besteht darin, dem Menschen oder im Falle der EU den Nationen zu dienen und mit ihnen gemeinsam um Argumente, die Wahrheit und bestmögliche Lösungen zu ringen.

Relationales Denken erschließt dazu das Wesen und das Potenzial von Brüderlichkeit, wie sie aus dem Liebesgebot Jesu im Herzen von Europas jüdisch-christlicher Tradition verankert ist. Brüderlichkeit im Sinne von kreativ und effektiv gestalteten Beziehungen auf institutioneller Ebene hat bereits die sozialen Neuerungen inspiriert, die Europa der Welt gebracht hat: demokratische Regierungssysteme, die ursprüngliche Konzeption der Menschenrechte, die Aktiengesellschaft und die Unterscheidung zwischen Gewohnheitsrecht und Gesetz. Und es hat sich daraus die Vision des Neuen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gespeist. Die Schwächung dieses Bandes in Europa hat eine Lücke hinterlassen, die EU-Vorschriften nicht füllen können.

In unserem Programm für die Europawahl 2019 fragen wir für jedes Politikfeld: Wie können die Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vertieft oder verbessert werden? Und was kann die EU dafür tun, damit das Band der Freundschaft zwischen den Nationen gestärkt wird?

Die EU darf sich nicht länger selbst als die Lösung für jedes Problem sehen und „mehr Europa“ als das für alles passende Instrument reklamieren. Die Probleme in Europa können nur durch die Mitgliedsstaaten gelöst werden, die ihr angehören. Aber die EU kann ein Schlüsselinstrument dafür werden, nachhaltige Lösungen zu erleichtern und zu unterstützen.

  1. Ein konstruktiver und zugleich kritischer Zugang zur EU

Die Verflechtungen Deutschlands und der Mitgliedsstaaten der EU sind über 70 Jahre gewachsen und so vielfältig, dass die Nationalstaaten einander und die EU brauchen. Die Brexit-Verhandlungen zeigen die Komplexität der Beziehungen. Wir sind dankbar für Stabilität und Frieden in Europa, wozu die EU und multilaterale Institutionen entscheidend beigetragen haben.

Gleichzeitig kann und muss der Einfluss der EU-Institutionen an vielen Stellen reduziert werden, wo keine Regulierung durch die EU nötig ist. Wir brauchen Reformen, die unter strikter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips überprüfen, welche EU-Institutionen gebraucht werden und was die Mitgliedsstaaten selbst regeln können und sollen.

Deshalb fokussieren wir mit diesem Europawahlprogramm nicht ausschließlich auf Politikfelder in EU-Zuständigkeit. Kernthemen auf EU-Ebene müssen weiterentwickelt werden. Zuständigkeiten der Nationalstaaten sollen dort beheimatet bleiben und teilweise von der EU an die Mitgliedsstaaten zurückübertragen werden. Wo nationale Zuständigkeiten gleichzeitig die Kooperation auf EU-Ebene erfordern, empfehlen wir, dass der Europarat die Koordination der verschiedenen Sichtweisen der Nationalstaaten leistet. Europarat und Europäische Kommission sollen dabei keine eigene Politik zum Thema forcieren, sondern die Koordination erleichtern und Übereinkünfte der Mitgliedsstaaten fördern.

Die verschiedenen Politikfelder werden also teilweise auf nationaler und auf EU-Ebene entfaltet. Wir sehen uns als Partei nicht nur in Verantwortung für Deutschland, sondern für ein Europa, das die besonderen Stärken und Traditionen jedes Mitgliedslandes wertschätzt, und für eine EU, die für das Wohlergehen der Völkerfamilie Europas arbeitet. Zusammen mit der European Christian Political Movement (ECPM) stehen wir für die christlichen Grundwerte des Lebens, die Europa über die Jahrhunderte fruchtbar gemacht haben, und in der Verantwortung, Frieden, Freiheit und Gemeinwohl auch für kommende Generationen zu ermöglichen.