Präsident Erdogan setzt die NATO unter Druck, ihren Krieg gegen Syrien zum Bündnisfall zu erklären, indem er zehntausende Flüchtlinge an die griechische Grenze transportieren lässt. Ein neuer Flüchtlingsstrom nach Europa soll weitere Zahlungen der EU aus dem Flüchtlingsdeal erpressen. Stattdessen sollte die EU Sanktionen gegen die Türkei verhängen, um diesen Missbrauch der Flüchtlinge gegen Europa zu stoppen.
Die Türkei hält seit 2018 nach einer Vereinbarung mit Russland zwölf Militärstützpunkte in der syrischen Provinz Idlib besetzt und hat seit 2016 immer neue Regionen entlang der Grenze auf syrischem Staatsgebiet annektiert: 2016 Dscharablus, 2018 Afrin, 2019 Tel Abyad und Ras al-Ain. Das türkische Militär kämpft zusammen mit den islamistischen Rebellentruppen der Freien Syrischen Armee und der al-Nusra-Front (al-Qaida) im Westen gegen das Assad-Regime und östlich des Euphrat gegen die kurdisch geführte Demokratische Selbstadministration (DSA) in Nordostsyrien.
Im Februar begann das Assad-Regime mit russischer Unterstützung neue Angriffe auf Idlib, um diese letzte Bastion der Rebellentruppen zurückzuerobern. Damit wurde erneut ein dramatischer Flüchtlingsstrom in Richtung der türkischen Grenze ausgelöst, die Erdogan jedoch abriegelt. Um seine Kontrolle über Idlib zu erhalten, schickte er zusätzliche Einheiten der türkischen Armee über die Grenze, die das Assad-Regime angriffen. Daraufhin beschossen Assad-Truppen und Russland die türkischen Stützpunkte in Idlib. Seitdem steht die Türkei mit den dschihadistischen Truppen der Armee Assads mit der Unterstützung Russlands in einem direkten Krieg gegenüber. Mithilfe türkischer Raketen, schwerer Waffen, Drohnen und Flugzeuge haben die Dschihadisten seit Ende Februar die Assad-Truppen nach Süden zurückgedrängt.
Nach zahlreichen Opfern der Kämpfe auf türkischer Seite fordert Erdogan nun den Beistand der NATO-Partner in seinem Krieg gegen Syrien ein, den er selbst mit seinen völkerrechtswidrigen Interventionen begonnen hat. Hinter dem Assad-Regime hingegen steht außer Russland auch der Iran, der jedoch durch die Sanktionen und massive Corona-Ausbrüche stark geschwächt ist.
Parallel hat Erdogan seit Januar türkische Truppen und dschihadistische Söldner aus Syrien nach Libyen verlegt zur Unterstützung des libyschen Premier al-Sarradsch. Mit einem im November mit der libyschen Regierung geschlossenen Abkommen will Erdogan die zwischen beiden Staaten bestehenden Seegrenzen neu ziehen und sich damit Erdgasfelder im östlichen Mittelmeer sichern. Damit würde die geplante Gaspipeline zwischen Israel, Ägypten und Griechenland abgeschnitten, die auch die EU unabhängiger von russischem Gas machen soll. Ägypten kritisierte die türkische Präsenz in Libyen und deren Kollaboration mit Muslimbrüdern und anderen Islamisten als Versuch der türkischen Regierung, ihre Macht in Regionen des ehemaligen Osmanischen Reichs auszuweiten.
Seit Anfang März setzt nun das türkische Regime die EU und die NATO unter Druck, ihren Krieg gegen Syrien zum Bündnisfall zu erklären, indem es zehntausende Flüchtlinge vor allem aus Afghanistan und dem Iran an die griechische Grenze transportiert, um sie zu stürmen und einen neuen Flüchtlingsstrom nach Europa auszulösen. Europa soll die Kritik an den illegalen türkischen Invasionen und Menschenrechtsverletzungen in Nordost-Syrien und Afrika einstellen. Außerdem will Erdogan weitere Mittel aus dem Flüchtlingsdeal mit der EU von 2016 erpressen. Die Türkei beherbergt etwa 4 Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Für deren Versorgung erhielt sie seit dem Deal von der EU bisher 3 Milliarden €.
Angesichts der Erpressungsversuche der Türkei müssen die EU und die NATO klarstellen, dass Europa in keiner Weise Verantwortung trägt für die Kriege in Syrien und damit in keiner Pflicht steht, für die Schäden und Katastrophen aufzukommen, die diktatorische Regime im Nahen Osten verursachen. Gegen den von Erdogan erzeugten Ansturm an der Grenze zu Griechenland wurden die Maßnahmen zum gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenzen mit FRONTEX Einheiten verstärkt. Statt weiterer Zahlungen aus dem Flüchtlingsdeal sollte die EU Sanktionen gegen die Türkei verhängen, um diesen Missbrauch der Flüchtlinge gegen Europa zu stoppen. Das türkische Regime darf keine Gelegenheit erhalten, das christlich-humanistische Selbstverständnis Europas mit provozierten Flüchtlingsströmen zu missbrauchen.
Gleichzeitig stehen wir mit unserem humanitären Verständnis von Menschenwürde und Barmherzigkeit in der moralischen Verantwortung, das Elend der missbrauchten Menschen an den Grenzen der EU zu lindern. Neben der Sicherung der Außengrenzen braucht es kontrollierte Zugänge, mit denen wir das Recht auf Asyl weiterhin Verfolgten und den Bedürftigsten gewähren. Für die Realisierung muss die EU vor allem in den Lagern Griechenlands und Italiens schnellstens solidarische Hilfe schaffen, um einen Bürgerkrieg zwischen Einheimischen und Flüchtlingen zu verhindern.
Nicht zuletzt gefährden die imperialistischen Pläne Erdogans und das Agieren des Assad-Regimes mit Russland und dem Iran die Sicherheit Israels. Hier stehen wir mit den USA zusammen in der Pflicht, feindliche Vernichtungspläne zu vereiteln. Entlang der syrischen Grenze zur Türkei braucht es eine internationale Schutzzone der NATO, um die Expansionskriege Erdogans zu stoppen. Die Syrisch-Demokratischen Streitkräfte (SDF) und die Demokratische Selbstadministration (DAS) in Nordostsyrien brauchen von Europa und den USA Unterstützung, um in den befriedeten syrischen Gebieten die Voraussetzungen für die Rückkehr und Ansiedlung syrischer Flüchtlinge aus der Türkei zu schaffen. Damit werden der Türkei die Flüchtlinge als Druckmittel aus der Hand genommen. Waffenexporte an NATO-Partner Türkei verbieten sich von selbst, bis das Regime seine völkerrechtswidrigen Aggressionen aufgibt.