Die gegenwärtigen Veränderungen in der deutschen und europäischen Migrations- und Asylpolitik zeigen ein Spannungsfeld aus dringend notwendigen Reformen, aber auch tiefen menschlichen Herausforderungen. Als jemand, der selbst als Geflüchteter nach Deutschland kam, hier zum christlichen Glauben fand, später Theologie studierte und heute als Pastor sowohl in einer deutschen Gemeinde als auch unter persischsprachigen Gruppen tätig ist, begegne ich diesen Entwicklungen nicht theoretisch, sondern aus unmittelbarer Erfahrung heraus. Seit Jahren begleite ich Menschen durch die Höhen und Tiefen des Asylverfahrens. Darum möchte ich einige Beobachtungen und Überlegungen teilen.

Positive Aspekte der aktuellen Entwicklungen

Es ist verständlich und richtig, dass Deutschland versucht, das Asylsystem effizienter, transparenter und gerechter zu gestalten. Die Eindämmung von Missbrauch, die Beschleunigung von Verfahren und der Schutz der inneren Sicherheit sind legitime politische Ziele. Auch der zunehmende Fokus auf Integration – Sprache, Arbeit, Ausbildung und gesellschaftliche Teilhabe – ist ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung.

Doch bei aller notwendigen Reformarbeit darf eines nie verloren gehen: der Blick auf den Menschen. Hinter jeder Akte steht ein Schicksal, hinter jedem Bescheid eine Familie, eine Geschichte, eine Hoffnung oder eine Angst.

Wenn Regelungen Menschen in Not bringen

Trotz positiver Entwicklungen erlebe ich regelmäßig Situationen, in denen gut integrierte Menschen plötzlich vor der Abschiebung stehen – Menschen, die seit Jahren hier leben, arbeiten, Deutsch sprechen, Familien gegründet haben und längst ein funktionierender Teil unserer Gesellschaft geworden sind.

Ein Beispiel: Eine Person lebt seit sieben Jahren in Deutschland, ist berufstätig, und seine Ehepartnerin befindet sich in der Ausbildung zur Pflegefachkraft – einem gesellschaftlich hochrelevanten Bereich. Dennoch wird seine Arbeitserlaubnis entzogen und eine Ausreise verfügt. Solche Entscheidungen zerstören funktionierende Strukturen und schaffen Unsicherheit statt Ordnung.

Noch schwerwiegender sind die Fälle verfolgter Christen aus dem Iran oder Afghanistan. Viele von ihnen wurden aufgrund ihres Glaubens verhaftet, bedroht oder misshandelt. Trotz bestätigender Schreiben internationaler Organisationen oder erfahrener Pastoren stuft das BAMF ihre Aussagen teils als unglaubwürdig ein. Manche standen bereits am Flughafen – kurz vor einer Abschiebung in Länder, in denen ihnen reale Gefahr droht.

Solche Entscheidungen erzeugen Angst und Verunsicherung – nicht nur bei den Betroffenen, sondern in ganzen Gemeinden.

Ungleichmäßigkeit im System – fehlende Differenzierung

In der öffentlichen Debatte kommt ein Punkt häufig zu kurz: der notwendige Unterschied zwischen dem Umgang mit straffälligen Personen und dem Umgang mit integrationswilligen Migranten.

Viele gut integrierte Migranten äußern öffentlich ihre Sorge darüber, dass Straftäter häufig zu milde behandelt werden, während gesetzestreue und integrationsbereite Menschen mit beruflicher Perspektive plötzlich ihre Arbeitserlaubnis verlieren oder zur Ausreise aufgefordert werden. Sie befürchten zu Recht, dass dadurch das Bild aller Migranten beschädigt und gesellschaftliche Spannungen verstärkt werden.

Hier braucht es deutlich stärkere Einzelfallprüfungen und konsequentes, zügiges Handeln statt pauschaler Lösungen, die aus administrativer Vereinfachung entstehen, aber zu realer Ungerechtigkeit führen.

Ein Blick zurück: Ein funktionierendes Modell

In früheren Jahren registrierte die UNHCR Geflüchtete in der Türkei und verteilte sie nach klaren Kriterien auf verschiedene Länder. Dieses Modell bot Schutz und schuf Ordnung. Es

  • schwächte Schleuserstrukturen
  • reduzierte gefährliche Fluchtrouten
  • ermöglichte legale und sichere Wege
  • verteilte Verantwortung gerechter.

Ein modernes europäisches Verfahren nach diesem Vorbild wäre sinnvoll und könnte Leid verhindern.

Die Notwendigkeit erfahrungsbasierter Perspektiven

Viele Entscheidungen werden von Menschen getroffen, die selbst nie Flucht, Ablehnung oder kulturelle Entwurzelung erlebt haben. Nur wer diese Realität kennt, versteht die emotionale und existenzielle Tiefe dieser Themen.

Eine politische Kommission, in der Menschen mit eigener Migrationserfahrung mitwirken, könnte zu gerechteren, realistischeren und tragfähigeren Entscheidungen beitragen.

Integration – vier Schlüsselbereiche

Als Pastor sehe ich täglich, wie Integration entweder gelingt oder scheitert. Entscheidend sind:

  • Schutz für tatsächlich Verfolgte: Gefährdete Menschen brauchen transparente und schnelle Verfahren.
  • Förderung und Forderung: Sprache, Ausbildung und Arbeit sind Grundpfeiler gelungener Integration.
  • Gemeinschaft statt Isolation: Kirchen und Gemeinden bieten Beziehung, Orientierung und Stabilität – ein unverzichtbarer Beitrag.
  • Psychische und soziale Unterstützung: Viele Geflüchtete tragen schwere Traumata. Ohne Begleitung werden sie keine gesunde Zukunft aufbauen können.

Europäische Entwicklungen: Neue Regelungen und ihre Risiken

Die jüngsten Beschlüsse der EU-Innenminister zur Verschärfung der Abschieberegelungen erhöhen zwar die Effizienz der Verfahren und knüpfen teilweise an frühere Modelle an, bergen jedoch erhebliche Risiken. Besonders problematisch sind:

  • Abschiebungen in unbeteiligte Drittstaaten
  • Abschiebezentren außerhalb Europas
  • Finanzielle Konstruktionen mit geringer Transparenz.

Es besteht die Gefahr, dass Schutzsuchende faktisch „weitergereicht“ werden, während Europa sich schrittweise seiner Verantwortung entzieht. Viele tatsächlich Schutzbedürftige könnten dabei durchs Raster fallen.

Internationale Einflüsse und globale Verantwortung

Wenn führende Politiker Länder des globalen Südens pauschal abwerten, ist das nicht nur politisch problematisch, sondern moralisch nicht vertretbar. Solche Aussagen fördern Rassismus, entmenschlichen Schutzsuchende und vergiften den gesellschaftlichen Diskurs.

Europa darf dieser Rhetorik nicht folgen. Politik muss sich an der Würde des Menschen orientieren – nicht an Herkunft oder Nutzen.

Herausforderungen innerhalb Europas: Populismus und Angst

Auch in Deutschland gewinnen politische Kräfte durch einfache Antworten auf komplexe Fragen an Zustimmung. Angst wird instrumentalisiert, statt Lösungen zu entwickeln.

Doch Angst ist kein guter Ratgeber. Werte wie Verantwortung, Wahrheit und Gerechtigkeit sind tragfähiger für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Europa braucht Mut – nicht Feindbilder.

Fazit

Migration ist keine statistische Größe, sondern eine menschliche Realität. Jeder Mensch trägt das Ebenbild Gottes. Darum müssen wir:

  • schützen, was schutzwürdig ist
  • korrigieren, was missbraucht wird
  • integrieren, was bleiben darf
  • und menschlich bleiben, wo Härte keine Lösung bietet.

Deutschland braucht ein Asylsystem, das menschlich, gerecht, konsequent, transparent und von Verantwortung geprägt ist.

Als jemand, der selbst durch dieses System gegangen ist und heute anderen Geflüchteten dient, bete und arbeite ich mit Bündnis C dafür, dass politische Entscheidungen nicht nur juristisch korrekt, sondern auch moralisch verantwortlich getroffen werden – so, wie Jesus Christus es uns gelehrt hat:

Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25,40)

Mohsen Kornelsen

Beisitzer Bundesvorstand

Pastor einer deutsch-persischen Gemeinde