Ende August veröffentlichte Bild eine Prognose für den Familiennachzug der Angehörigen von 390000 Flüchtlingen aus Syrien im kommenden Jahr unter Berufung auf ein internes Papier der Bundesregierung. Woher kommt diese Zahl und was bedeutet der Familiennachzug für die Zukunft der Flüchtlinge und ihrer Heimatländer?
Als erstes wären die Zahlen zu prüfen, wie viele anerkannte Flüchtlinge Anspruch auf Familiennachzug haben. Insgesamt sind rund 600.000 Syrer seit Beginn des Bürgerkrieges 2011 nach Deutschland gekommen. Die große Mehrheit der jungen Männer ist unverheiratet und hat nach §29 Aufenthaltsgesetz keinen Anspruch auf Familiennachzug, da der nur Ehepartnern und eigenen minderjährigen Kindern gewährt wird. Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge dürften bis 2018 zum großen Teil volljährig sein, womit der Anspruch auf Nachzug der Eltern erlischt. Der kleine Anteil Minderjähriger und volljähriger Verheirateter, für die der Familiennachzug aufgrund subsidiären Schutzes ausgesetzt war, fällt kaum ins Gewicht. Es stellt sich die Frage, welchen Gruppen nach dem internen Papier der Bundesregierung über geltendes Recht hinaus Familiennachzug gewährt werden soll, falls die Zahlen stimmen.
Zweitens ist zu fragen, ob Familiennachzug wirklich die Integration von Flüchtlingen in Deutschland fördert und inwiefern Integration das Ziel der deutschen Gesellschaft im Blick auf Flüchtlinge sein soll.
Jeder Flüchtlingsstatus ist begrenzt und währt solange, wie die Gefahr im Herkunftsland besteht. Integration im Gastland muss also unter der Perspektive der Rückkehr geschehen. Das ist hart, aber geltendes deutsches und europäisches Recht. Flüchtlinge lösen nicht den deutschen Fachkräftemangel! Wie kann also Integration aussehen, die der Vorbereitung der Rückkehr dient, und wie soll Integration unter diesem Vorbehalt geschehen?
Familiennachzug ist in diesem Kontext ein Instrument, das nicht der Rückkehr, sondern der dauerhaften Ansiedlung im Gastland dient. Wenn Kinder mitziehen, erhalten Familien bereits nach sechs Jahren in Deutschland Bleiberecht. Eine Rückkehr mit minderjährigen Kindern nach längerer Zeit wäre eine unbillige Härte. Und es gibt auch keinen Grund mehr zur Rückkehr, wenn in Syrien Haus und Hof verkauft, besetzt oder zerstört sind und die Familie zusammen in Deutschland lebt.
Werden sich Familien auf Dauer in Deutschland besser integrieren als Einzelne? Wer blindlings behauptet, dass Familiennachzug die Integration in Deutschland fördert, tut das in Unkenntnis arabischer und islamischer Familienstrukturen, die einen deutlich gefestigteren Wertekanon, Familienzusammenhalt und oft auch repressiven Druck auf die Familienmitglieder verkörpern, und das meist gegen die Werte der westlichen Gesellschaft. Familiennachzug ist nicht der „Schlüssel zur Integration“ (Göring-Eckardt), sondern verhindert sie weithin, wie wir aus der über drei Generationen währenden Geschichte der türkischen Einwanderer in Deutschland gelernt haben. Muslimische Familien grenzen sich unter dem Diktat ihrer Religion, Identität und Tradition weit strikter gegen die westliche Mehrheitsgesellschaft ab als alleinstehende junge Menschen aus dem arabischen Kulturkreis.
Eine realistischere Chance, sie mit einem freiheitlichen Weltbild und christlichem Wertekanon zu prägen, bieten uns deshalb die dezidiert entwurzelten, jungen, alleinstehenden Flüchtlinge. Viele von ihnen leiden unter der Trennung von ihren Eltern, gerade weil ihre Bindung an die Familie sehr viel stärker ist als in der westlichen Gesellschaft. Deshalb brauchen sie Ersatzeltern, die sie lieben, fördern, fordern und in die Pflichtnehmen – für ihr Gastland und für ihr Herkunftsland. Das Beste, was wir den jungen Flüchtlingen mitgeben können, ist eine gute Ausbildung. Junge Leute, die in Deutschland ausgebildet wurden oder studiert haben, bringen nicht nur Fachwissen, sondern auch Ausdauer, Disziplin, Struktur und Werte mit, mit denen sie in ihrem Land einen Unterschied machen können. Eine deutsche Ausbildung ist für viele die Ausrüstung und das Kapital für den Start eines Unternehmens oder für eine gute Anstellung in ihrem Land. Damit leistet Deutschland für die Herkunftsländer konkrete, zukünftige Aufbauhilfe.
Ein Flüchtling aus Afrika oder dem arabischen Raum, der mit dem Ersparten der Großfamilie als deren Hoffnungsträger nach Europa geschickt wurde, kann zudem nicht ohne einen Verdienst nach Hause zurückkommen. Deshalb werden vor allem die hierbleiben, die dauerhaft im deutschen Sozialsystem stranden.
Von der Familie getrennte junge Muslime haben nicht zuletzt auch in Deutschland deutlich größere Freiheit, den Islam zu verlassen, als wenn die Familie Druck auf sie ausübt. Die Befreiung vom Islam ist der Schlüssel für die Befreiung der arabischen Welt von den eskalierenden Religions- und Machtkriegen. Als Christen glauben wir, dass Jesus Christus auch die islamische Welt befreien will und wird. Und dass die Straße des Friedens nach Jesaja 19 im Entstehen ist.
Es darf dabei nicht nur um die Rückkehr der Christen nach Assyrien gehen. Nicht nur sie werden im Nahen Osten gebraucht, sondern Heerscharen junger Menschen, die hoffentlich bei uns gelernt haben, wie man in Frieden miteinander leben kann. Wenn ihre Familien so lange die Stellung halten im Land, haben sie die stärkste Motivation, in ihr Land zurückzukehren und einen gesellschaftlichen Wandel mit anzustoßen.
Die Eltern minderjähriger Flüchtlinge lernen zudem bei Nachzug nach Deutschland sehr viel schwerer die deutsche Sprache als junge Menschen. Die wenigsten werden damit in höherqualifizierten Berufen arbeiten können. Hilfsjobs oder die Abhängigkeit von Sozialhilfe sind für ältere Syrer der Mittel- und Oberschicht aber ein sozialer Absturz, der ihnen weder Lebenszufriedenheit noch Integration in Deutschland bringt.
Ob wir es in Deutschland schaffen können, hunderttausende weiterer Kinder und Jugendlicher per Familiennachzug zu integrieren, sollte man schlussendlich vor allem die Lehrer fragen, die bereits jetzt mit zu vielen Kindern ohne Deutschkenntnisse in den Klassen unterrichten müssen, neben verhaltensauffälligen und Kindern mit Behinderungen. Bildungspolitische Illusionen und Vorgaben üben einen nicht mehr hinnehmbaren Druck auf Lehrer und Schulen aus, der die Personalsituation immer mehr verschärft.
Insgesamt ist es äußerst kurzsichtig, wenn Vertreter von Politik und Kirchen Familiennachzug blindlings begrüßen. In einer Perspektive über die unmittelbaren Wünsche des Einzelnen und die deutschen Belange hinaus geht es darum, dass wir unserem Auftrag mit den Flüchtlingen gerecht werden und vor allem dem dienen, was im Nahen Osten entstehen soll. Junge Flüchtlinge in Ausbildung und Studium zu bringen, wird dabei auch Deutschland nicht schaden, sondern diese Generation zusammenwachsen lassen. Und das hoffentlich in Verantwortung vor Gott und den Menschen ihrer Nationen.
In Bündnis C sind wir an einem politischen Bildungsprogramm europäischer Parteien für die christlichen Minderheiten im Nordirak beteiligt. Sie sollen befähigt werden, gemeinsam mit den anderen Minderheiten die Ninive-Ebene zu regieren, damit Hoffnung für ihr Land und ihre Zukunft im Nahen Osten schöpfen und aus ihrer jahrtausendelangen Opferrolle unter dem Islam heraustreten. Vorbild dafür ist die Demokratische Selbstadministration im Nordosten Syriens, die bereits mit Beratung durch die European Christian Political Movement (ECPM) errichtet wurde.
Karin Heepen