Die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode in Barmen wurde am 31. Mai 1934 von der Bekennenden Kirche unter der nationalsozialistischen Herrschaft verabschiedet. Der Nationalsozialismus setzte sich selbst an die Stelle Gottes und erhob über den weltlichen Bereich hinaus absoluten Anspruch über den Menschen. Die Barmer Theologische Erklärung richtete sich gegen die Theologie und das Kirchenregime der „Deutschen Christen“, die die evangelische Kirche der Diktatur des „Führers“ gefügig machten. Zum Verhältnis von Staat und Kirche sagt These 5:
„Fürchtet Gott, ehrt den König. (1. Petr 2,17)
Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“1
Protestantische Christen waren von der Lehre Luthers her zu den Zwei Regimentern der weltlichen und der geistlichen Herrschaft ambivalent geprägt in ihrer Haltung gegenüber der Obrigkeit. Sie schwankten zwischen Unterordnung, aktiver Beteiligung an der Staatsgewalt und passivem Widerstand gegen Unrecht der Regierenden. Das gemeinsame Bekenntnis und die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche waren unter den Nationalsozialisten aufs schwerste gefährdet.
Heute sind unsere Kirchen erneut politisch gespalten. Diese ideologische Polarisierung ist auf der politischen Ebene nicht zu lösen. Wir sehen aus unserer Geschichte, dass eine gespaltene Kirche nicht nur geschwächt und mit sich selbst beschäftigt ist, sondern aufhört, Kompass für die Gesellschaft zu sein. Wo die Kirchen nicht mehr an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit erinnern, werden sie kraftlos und ohne Einfluss auf die Gesellschaft. Die ehemals christlichen Parteien CDU/CSU haben ihre Positionen parallel mit der geistlichen Kraftlosigkeit der Kirchen in Deutschland aufgegeben. Wo die Kirchen nicht mehr der Kraft des Wortes Gottes vertrauen und gehorchen, werden sie selbst zum Spiegelbild der Gesellschaft statt zum Garanten für einen gerechten Staat.
Wenn die Gesellschaft jedoch Spiegelbild der Kirche Jesu Christi sein soll, kann Umkehr in der Politik nur aus einer geistlichen Erneuerung der Kirchen kommen. Wir brauchen damals wie heute keine politisierte Kirche, sondern eine, die das Wort Gottes predigt und dieses Wort in die Gesellschaft hineinspricht. Wir brauchen Politiker, die die Bibel kennen, daran ihre Politik ausrichten und die Wege Gottes für unser Land aufzeigen. Es braucht christlich fundierte politische Antworten über die einander bekämpfenden ideologischen Positionen hinaus. Es ist Zeit, die politische mit der geistlichen Ebene in unserem Denken und Handeln zusammenzubringen.
Weil wir als Christen den irdischen Staat nicht nur erdulden, sondern als ordnende Gewalt für unsere Gesellschaft wollen, und weil wir ihn als Rechtsstaat wollen, damit er seinen göttlichen Auftrag erfüllt, dürfen wir uns aus dem politischen Bereich nicht heraushalten und sind für den Charakter dieses Staates mitverantwortlich, berufen und haftbar.
Wenn sich die Staatsgewalt gegen Gott, dem sie ihre Macht verdankt, widersetzt, muss unsere Mitwirkung als Christen damals wie heute auch den Ruf in Gottes Ordnungen umfassen, wo eine Regierung diese Ordnungen missachtet. Und wo sich Christen nicht mehr kompromisslos an der Politik beteiligen können, muss die Kirche diesen Dissens im kritischen Respekt öffentlich zum Ausdruck bringen.
Die Kirchen stehen erneut in der Gefahr, sich dem politischen Zeitgeist anzupassen und unterzuordnen. Damit verfehlen sie ihren Auftrag, in den Verführungen falscher Heilslehren, wie sie Matthäus 24 beschreibt, die Geister zu unterscheiden, den Gläubigen, Politik und Gesellschaft biblischer Kompass und dieses kritische Gegenüber zu sein. Die kritische Entscheidung der Kirchen scheint heute der letzte Paragraf der Barmer Theologischen Erklärung sein:
„Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.“
1 https://www.ekd.de/Barmer-Theologische-Erklarung-Thesen-11296.htm
(c) Bild: Von Atamari, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6493056