Das State of Europe Forum erinnert jährlich am Europatag an die Schuman-Erklärung als Initialzündung zur Bildung der Europäischen Gemeinschaft und an die christlichen Grundlagen Europas, in deren Geist diese Erklärung Versöhnung und den Wiederaufbau des zerstörten Europa nach dem 2. Weltkrieg möglich machte.

Erinnerung das christliche Wertefundament Europas

Jeff Fountain (Niederlande) erinnerte als Gründer und Leiter des Forums in seiner diesjährigen Eröffnung in Warschau daran, dass die Bibel Europa von Armenien bis Island transformiert hat. Die Wüstenklöster Ägyptens inspirierten mit ihren Agape-Gemeinschaften andere und es entstanden Klösterstädte ringsherum. So breitete sich das Evangelium innerhalb weniger Jahrzehnte im ganzen Römischen Reich aus und prägte in den folgenden Jahrhunderten Europa. Seine Botschaft von der Würde jedes einzelnen Menschen unterschied sich grundlegend vom Menschenbild der griechischen Antike, die den Wert des Menschen an seinem Status in der Gesellschaft maß. Wenn Befürworter von Abtreibung und Euthanasie heute überzeugt sind, dass sie im modernen Europa die Rolle des barmherzigen Samariters spielen, ist dies ein Rückfall in heidnischen Absolutismus, der die Schwächsten der Gesellschaft gewissenlos auslöscht. Umso wichtiger ist es, wie mehrere Sprecher hervorhoben, dass wir an die christlichen Werte erinnern, die Europa human, frei und erfolgreich gemacht haben.

Lehren aus der Befreiung Polens für Europa  

Das State of Europe Forum findet jeweils in der Hauptstadt des Landes statt, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Aus gutem Grund nimmt die Beziehung des jeweiligen Landes zu Europa angemessenen Raum ein und seine besondere Rolle, die es in Europa spielt. So erinnerte Pfr. Andrzej Nędzusiak (Polen) an einige Lektionen, die Polen auf dem Weg in die Freiheit in den 1980er Jahren gelernt hat. Seit 1981 herrschte in Polen Kriegsrecht, Panzer rollten durchs Land und die sozialistische Staatsgewalt schlug Aufstände der Solidarność-Bewegung brutal nieder. Diese war in Teilen ihrerseits voller Hass und Feindschaft gegen das kommunistische Regime. Wäre sie in dieser Zeit bereits an die Macht gekommen, hätten sie als neue Herrscher wahrscheinlich Rache geübt. Es brauchte eine Läuterung der Bewegung, Bereitschaft zu Vergebung, Versöhnung und Zusammenarbeit mit anderen, zu der Papst Johannes Paul II. mit seinem Besuch 1983 maßgeblich beitrug. Täglich betete er: „Komm herab, Heiliger Geist, und erneuere das Antlitz dieses unseres Landes!“ Fürbitter in ganz Europa bezeugen, dass Gott sie in dieser Zeit zum täglichen Gebet und Fasten für Polen gerufen und ihnen deutlich gemacht hat, dass Polen eine Schlüsselrolle in Europa spielt für seine Befreiung. Eine geplante Intervention der Roten Armee in Polen wurde Ende 1980 in letzter Minute bekannt und durch eine Warnung der USA abgewendet. Wenig später wurde das Kriegsrecht aufgehoben in Polen und die Unterdrückung gemäßigt, bis im Juni 1989 schließlich die ersten freien Wahlen stattfanden und das Regime friedlich fiel. Die polnische Geschichte kann als Beispiel dienen für uns heute in Europa mit seinen sich feindlich gegenüberstehenden ideologischen Fronten, wie wir beten und in welchem Geist wir für Heilung unseres Kontinents arbeiten sollen. Man kann und muss das Böse nicht immer bekämpfen. Manchmal reicht es, es zu bekennen, und Gott handelt.

Vergebung für die deutsche Dominanz

Im Blick auf die aktuelle Situation Europas und die polnische Ratspräsidentschaft thematisierte Prof. Piotr Mazurkiewicz (Polen, 2008–2012 Generalsekretär der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union COMECE) auch die deutsche Dominanz in Europa. Als Deutsche ergriff ich die Gelegenheit, mein tiefes Verständnis für die Angst vor einer erneuten Dominanz Deutschlands zum Ausdruck zu bringen und bat die polnischen Anwesenden um Vergebung dafür. Ich betonte das Gewicht einer freundschaftlichen Verbindung von Polen und Deutschland in der EU. Zwischen Frankreich und Deutschland ist seit dem Schuman-Plan eine freundschaftliche Beziehung gewachsen und beide wurden zu den treibenden Kräften der europäischen Integration – leider nicht nur zum Guten für kleinere Nationen und für die christliche Prägung Europas. Die EU braucht als Gegengewicht zur deutsch-französischen Achse eine starke, gemeinsame Verbindung von Deutschland und Polen für die weitere europäische Einigung. Ich bat die polnischen Verantwortlichen, besonders während dieser Ratspräsidentschaft ihren Stand einzunehmen und Europa mit uns zusammen zu gestalten, was auf dankbare Resonanz stieß.

Transformation der Ukraine

Polen spielt eine Schlüsselrolle an der Grenze zu Russland und der Ukraine. Mykhaylo Khariy (Ukraine) stellte eine nationale Strategie zur Transformation der Ukraine vor, die neben Aspekten der Wirtschaft, Infrastruktur, Politik und internationaler Einbindung in die EU und die NATO eine geistliche Transformation einschließt. Kirchen und Institute in der Ukraine arbeiten an einer Theologie für den öffentlichen Raum, die es bisher in keinem anderen Land gibt. Das Forschungsprojekt zeigt die Relevanz der Kirchen in der Ukraine für Politik und Gesellschaft und wird von Jeff Fountain unterstützt.

Hass und Vernichtung stoppen

Pfr. Manfred Deselaers (Deutschland) lebt seit 1989 in Oswiecim/Polen und arbeitet seitdem für deutsch-polnische und jüdische Versöhnung. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine baute er seine Beziehungen zu Christen in beiden Ländern aus und stellt die Fragen der Versöhnungsarbeit in den Zusammenhang des heutigen Krieges. Es gab damals Deutsche in Auschwitz, die nicht Zuschauer blieben und Juden geholfen haben. Eine Theologie des Friedens erschöpft sich auch heute nicht darin, in Waffen zu investieren. Deselaers veröffentlichte mit seinem Netzwerk einen Brief von Christen aus Deutschland, Polen und der Ukraine an die Christen der Russisch-Orthodoxen Kirche, der die Spirale von Hass und Vernichtung stoppen soll. Der Brief kann hier mitgezeichnet werden https://www.lettertorussia.eu/ein-brief-von-christen.  

Karin Heepen