Die 27 Staatschef der EU-Mitgliedsländer haben ein Hilfspaket von 750 Milliarden Euro und einen 7-Jahreshaushalt für insgesamt 1,8 Billionen Euro bis 2027 beschlossen. Auf einem Mammut-Gipfel unter Führung der deutschen Ratspräsidentschaft wurde die größte Finanzhilfe der EU-Geschichte mittels eigenen Schulden und Steuern der EU verabschiedet. Die Zustimmung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente steht noch aus und lässt Nachverhandlungen erwarten. Die europäische Einheit wird durch gemeinsame Schulden nicht gestärkt, sondern belastet.

Erstmals in ihrer Geschichte soll die EU-Kommission für die Finanzierung des Corona-Aufbaufonds „Next Generation EU“ eigene Schulden am Finanzmarkt aufnehmen. Die Beiträge der Mitgliedsländer zum Aufbaufonds liegen bei rund 5,4 Prozent des jeweiligen BIP. 750 Milliarden Euro sollen so über Anleihen gekauft und bis 2024 an die Mitgliedsstaaten verteilt werden: 390 Milliarden Euro davon als Zuschüsse und der Rest als rückzuzahlende Kredite. Das Volumen des neuen Haushalts bis 2027 steigt gegenüber dem derzeitigen von 951 auf etwa 1074 Milliarden Euro. Wegen des Austritts von Großbritannien steigen die Einzahlungen der verbleibenden Mitgliedsstaaten jedoch überproportional.

Gleichzeitig sollen neue Abgaben an die EU abgeführt werden, um die gemeinschaftlichen Corona-Schulden bis zum Jahr 2058 zu tilgen. Beschlossen ist eine Abgabe auf nicht recyceltes Plastik, zusätzlich geplant Einfuhrgebühren auf CO2-intensive Produkte aus Drittstaaten sowie eine Steuer für Digitalunternehmen.

Der Aufbaufonds ist für eine bessere Widerstandsfähigkeit gegen Krisen in den Empfängerländern bestimmt, für Reformen im Gesundheits- und Sozialsystem, Forschung, Digitalisierung und die Energiewende. Für einen Wiederaufbaufond gibt es hingegen keine Begründung. Wir haben keinen Krieg, es ist nichts zerstört. Wir haben in Europa intakte Unternehmen und Technologien, eine (noch) funktionierende Infrastruktur, und es sind nicht überproportional viele Menschen gestorben. Das Schrumpfen der europäischen Wirtschaft hat sich vor der Corona-Krise abgezeichnet aufgrund der Überalterung Europas und fehlender Fachkräfte. Es wird durch den Corona-Lockdown beschleunigt. Das kann ein Gesundschrumpfen sein, wenn auch mit einigen Wohlstandsverlusten. Wir stellen auch hier die Frage, wie die europäische Wirtschaft reformiert und neu ausgerichtet werden kann zum Besten für die Mitgliedsstaaten und die Menschen. Ab dem Herbst erwarten wir eine beginnende Welle von Insolvenzen kleiner und mittlerer Unternehmen, die die Kommunen und Sozialleistungen gefährdet. Die Gelder müssen vor allem mittelständischen Unternehmen dienen, um die regionalen Wirtschaftsstrukturen zu erhalten.

Der mühsam ausgehandelte Kompromiss des Rates ist der Einstieg in die Vergemeinschaftung von Schulden in der EU, die der Lissabon-Vertrag aus guten Gründen ausschließt und die bisher ein Tabu war. Besondere Umstände wie der durch die Corona-Maßnahmen verursachte Einbruch der europäischen Wirtschaft erfordern besondere Maßnahmen. Aber es ist zu fragen, ob Europa mit den beschlossenen Geldsummen gerettet oder destabilisiert wird. Die Beschlüsse des Rates der Regierungschefs waren nur der erste Schritt zur Ratifizierung der Pläne. Ab dem 24. August werden sich die Fachausschüsse des EU-Parlaments mit der Position des Rates beschäftigen. Und es müssen alle 27 nationalen Parlamente zustimmen. Da es sich um eine großangelegte Umverteilung zu Lasten der Steuerzahler in den Mitgliedsländern handelt, die bereits unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona- Maßnahmen leiden, ist die Forderung gerechtfertigt, dass die Parlamente mit 2/3 Mehrheit zustimmen müssen. Selbst wenn das Geld dort ankommt, wo es gebraucht und produktiv eingesetzt wird, begibt sich die EU damit in einen historischen Paradigmenwechsel in Richtung Schuldenunion.

Wenn man die Souveränität der Nationalstaaten aushebelt, hebelt man auch demokratische Entscheidungsprozesse aus. Supranationale Staatengebilde lassen sich nicht als Demokratie organisieren, sondern werden je komplexer desto intransparenter. Dazu zählt auch die Forderung von EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) nach dem Aufbau einer europäischen Einsatztruppe unter EU-Kommando aufgrund des Teilabzugs von US-Truppen aus Deutschland. Vor allem aber darf die „Nächste Generation Europa“ nicht an der Verstrickung in Schuldenberge scheitern, die sie ihrer nächsten Generation auflegt.