Der „Gutmensch“ ist zum Unwort des Jahres 2015 gekürt worden. Das kann hoffnungsvoll stimmen, dass Irrungen über die Natur des Menschen aufgeklärt werden. Die Diskussion darüber, wie optimistisch oder pessimistisch der Mensch in seiner offensichtlichen Doppelnatur von Gut und Böse zu sehen ist, zieht sich durch Philosophien, Ideologien und ihre Menschenbilder – mit folgenreichen Konsequenzen in Politik und Gesellschaft.
Von Karin Heepen
„Hass und Gewalt haben in unserer Gesellschaft nichts zu suchen.“ Solche und ähnliche Statements von Politikern und Funktionären der Demokratie werden reflexartig bemüht, wenn Anschläge und Übergriffe irgendeiner Couleur unsere Wunschträume von einer heilen Welt erschüttern. Offensichtlich sind manche (oder viele?) Menschen nicht so friedfertig und grundsätzlich um das Gute bemüht, wie das unsere Gesellschaft gern hätte.
Dabei ist dieses Bestreben um das Gute ja durchaus zu begrüßen. Die meisten Menschen wollen im Frieden leben, ohne Terror und Kriege, Gewalt und Belästigungen, Diebstahl und Betrug. Das erwarten wir von anderen, dass sie sich nach diesen Gepflogenheiten richten getreu der goldenen Regel: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem Andern zu – etwas genereller und umfassender formuliert in Kants Kategorischem Imperativ. Auf dieser ethischen Grundlage sind unsere Gesetze gemacht.
Scheinbar gilt dieser Imperativ jedoch weder in allen Kulturen der Welt, denn er setzt ein grundlegendes Verständnis von der Gleichwertigkeit aller Menschen voraus. Noch richten sich gute Deutsche und Europäer unbedingt danach. Im Ernstfall des Konflikts liegt das eigene Wollen doch näher als das irgendeines Anderen – erst recht, wenn der mir weder nahesteht noch sympathisch oder willkommen ist. Dann sind Gesetze für manchen Mitbürger dazu da, dass sie gebrochen werden. Und man muss einen cleveren Anwalt haben oder selbst clever genug sein, sich nicht erwischen zu lassen. Oder man demonstriert als Extremist die offene Aggression gegen die Werte einer verhassten und verachteten Gesellschaft.
Die Staatsdoktrin dazu wirken hilflos. Der erlahmte Rechtsstaat wird halbherzig reanimiert und die christliche Nächstenliebe bemüht und alle möglichen und unmöglichen biblischen Geschichten dazu, um dem Guten im und am Menschen zur Geltung zu verhelfen. Der Widerstand gegen diese Methoden der Manipulation wird jedoch lauter. Und es stellt sich die Frage: Kann man Humanität aus Prinzip befehlen oder nur aus wirklicher Nächstenliebe leben? Und was hat der Staat damit zu tun?
Ein Blick in die Geistesgeschichte, die unser Bild vom Menschen geprägt hat:
Zur Zeit des dreißigjährigen Krieges in Europa und endloser Bürger- und Religionskriege im England des 17. Jahrhunderts verbreitete Thomas Hobbes sein zutiefst pessimistisches Menschenbild: alle Menschen sind von Natur aus böse Egoisten, auf den eigenen Vorteil und den Erhalt der eigenen Existenz bedacht – „Der Mensch ist dem Menschen Wolf“. Dieser Naturzustand ist ein rechtsfreier Raum und es herrscht ein Überlebenskampf aller gegen alle. Um diesen Zustand zu beenden und um sich selbst zu erhalten, schließen die Menschen einen Gesellschaftsvertrag. Dem Staat übertragen sie das Gewaltmonopol, damit er mittels Sanktionen dessen Einhaltung erzwingt und damit den inneren Frieden und Ordnung wahrt. Im Bild des „großen Leviatan“ räumt Hobbes der Staatsgewalt den Rang eines sterblichen Gottes ein und sieht einen absolutistischen Herrscher als besten Garanten dafür.
Ganz anders hundert Jahre später Jean-Jacques Rousseau, einer der Vordenker der französischen Revolution. Er fand heraus, dass der Mensch von Natur aus gut ist und sein Naturzustand durch die menschliche Gesellschaft verdorben wird. Verantwortlich für dieses Verderben machte er die gesellschaftliche Ungleichheit der Menschen und vor allem das Privateigentum, das Konkurrenz, Missgunst und Ungerechtigkeit hervorbringt. Deshalb gehören Monarchie und Aristokratie abgeschafft. Die Grundlage seines Gesellschaftsvertrages ist der Gemeinwille freier, gleichberechtigter Individuen, die insbesondere durch Bildung und Erziehung zu den guten Menschen geformt werden müssen, die sie von Natur aus sind. Rousseau wurde damit zu einem Vorreiter kommunistischer Utopien, die trotz allen Blutvergießens bereits während der französischen Revolution bekanntlich ihre weiteren Verfechter fanden.
Beide Vertragstheorien haben das frühbürgerliche Denken und die Konzeption einer bürgerlich- liberalen Gesellschaft beeinflusst. Unser Bürgerliches Gesetzbuch und der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat stehen bis heute dafür, dass es die Aufgabe des Staatswesens ist, das Böse zu bestrafen, damit freie Bürger in relativer Sicherheit leben und das Gute in einem rechtssicheren Rahmen geschützt wird. Gleichzeitig haben sich humanistische Überzeugungen und Ideologien ausgebreitet, die getreu Rousseau meinen, dass der Mensch von Natur aus das Gute in sich trägt und nur eine gute Umwelt braucht, damit es auch zum Vorschein kommen kann. Die pessimistische Seite des Mensch-seins – Eigensucht, Aggressivität, Lüge, Gewalt, Neid und andere niedere Triebe – wurde zu Ergebnissen vor allem einer schlechten Sozialisation unter widrigen gesellschaftlichen Bedingungen erklärt.
Man fragt sich nur, woher die bösen Menschen kamen, die diese widrige Gesellschaft zuerst produziert haben. Rousseau zumindest fand als Pädagoge, der seine eigenen Kinder ins Findelhaus abschob, wenig Beifall. Die Nachwirkungen seiner und ähnlicher Theorien sind jedoch offensichtlich:
Bildung wird hier und heute wie bei Rousseau zum Allheilmittel gegen alles Schlechte in der Gesellschaft erhoben. Die Erziehung der Kinder muss der Staat in die Hände nehmen, weil zu viele Eltern dazu nicht in der Lage zu sein scheinen. Gefängnisse wurden mit Hotelstandard versehen, weil nicht Strafe sondern Resozialisierung das Gute im Menschen hervorbringt. Die Justiz bringt Straftäter besser gleich in therapeutischen Einrichtungen unter oder lässt sie zur Bewährung auf freiem Fuß. Und eine in sich gut gewünschte Gesellschaft braucht immer weniger Polizei, die für Ordnung sorgt.
Sicherheit und bürgerliche Freiheit bleiben unter diesen Irrtümern allerdings immer mehr auf der Strecke. Angesichts zunehmender Kriminalität wird der Ruf nach dem Überwachungsstaat lauter. Wem aber nützen Videokameras überall und Vorratsdatenspeicherung, wenn wirkliche Straftaten nicht angemessen verfolgt und geahndet werden?
Das biblische Menschenbild, das weder bei Hobbes, noch bei Rousseau oder im Humanismus unserer Tage im Blick ist, ist weder pessimistisch noch optimistisch, sondern realistisch: Das Böse ist Teil der Natur jedes Menschen von klein auf. Seine Erziehung soll das Gute fördern und das Böse mit Konsequenzen belegen. Später muss ein Staatswesen das Gute fördern und das Böse bestrafen, um es in Zaum zu halten.
Politische Konsequenzen müssen demnach aus einer christlichen Perspektive sein:
- Legislative:
Der Ruf nach schärferen Gesetzen geht am Kern des Problems vorbei, es sei denn, dass offensichtlich Zerstörerisches (wie Prostitution, Drogen, Töten menschlichen Lebens, …) legalisiert wurde. Meist sind die geltenden Gesetze hinreichend und bilden bereits einen Dschungel aus drei Ebenen (EU, Bund und Länder), der den Normalbürger zum Objekt eines Machtsystems und von Anwälten mit Expertenrang macht. Immer weitergehende Waffenverbote, Steuergesetze, Videoüberwachung und Datenspeicherung regen bei Straftätern vor allem die Phantasie an, wie man die Gesetze und Verbote umgehen kann. Sie schränken jedoch die bürgerlichen Freiheiten aller immer mehr ein und würgen Kreativität, Unternehmergeist und das Gute in der Gesellschaft mit immer neuen Vorschriften ab. - Exekutive:
Polizei und Gewerkschaften fordern seit Jahren bereits mehr Personal, um Sicherheit und Ordnung effektiv aufrechterhalten zu können. Die Ereignisse in der Silvesternacht müssen ein Warnschuss in dieses Jahr hinein sein, wenn nicht Gewalt und Anarchie auf den Plätzen unserer Städte herrschen sollen. Schuld an der Misere sind nicht die Polizeikräfte, sondern politische und strukturelle Fehlentscheidungen, die den unzureichenden Zustand der Polizei herbeigeführt haben und die eine angemessene Verfolgung von Straftaten nicht mehr möglich machen.
Insbesondere müssen Angriffe auf die Staatsgewalt mit allen Mitteln des Rechtsstaates verfolgt und geahndet werden, damit unsere Ordnungshüter nicht weiter der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei müssen ausgeweitet werden. Forderungen nach einer anonymisierten individuellen Kennung, die Polizisten tragen sollen, bezwecken das Gegenteil!
- Judikative:
Ohne die angemessene Ahndung von Straftaten werden die Exekutive und die Gesellschaft insgesamt zum Spielball des Bösen. Bereits jetzt gibt es in deutschen Großstädten No-go-Areas, wo mafiöse Strukturen und Parallelgesellschaften nach eigenen Gesetzen walten. Die Justiz hat Straftaten, nicht die Gesinnung der Täter zu ermitteln und zu ahnden! Sie muss die Opfer rehabilitieren und nicht vorrangig die Täter. Resozialisierung geschieht mittels Strafverbüßung und Wiedergutmachung, auf jeden Fall nicht ohne sie, und sowieso nur wenn der Täter sozialisiert werden will.
Humanisten brauchen keinen Gott, der Mensch ist das Maß aller Dinge. Umso mehr sind sie in der Pflicht dafür zu sorgen, dass eine gottlose Gesellschaft aus diesen Menschen auch funktioniert.
Sollten sie daran scheitern, kann der Gesellschaft allerdings nichts Besseres passieren, als dass die Kirchen ihre Arbeit machen. Hass und Gewalt sind bekanntlich nicht Bestandteil des christlichen Ethos. Aber auch die Kirchen werden mit der Moralkeule allein keine bösen menschlichen Regungen besiegen. Sieger über das Böse im Menschen ist allein Jesus Christus, dessen Zuspruch und Anspruch der Vergebung und der Liebe Menschen aus der Macht des Bösen befreit. Solcherart befreite Menschen machen dem Staat meist wenig Arbeit mit Straftaten.
Da wo Christus, dem von Gott gesandten Erlöser, der Zutritt verwehrt wird, werden Hass und Gewalt weiter Teil unserer Gesellschaft sein. Alles andere ist kommunistische, humanistische oder religiöse Utopie. Den Gutmenschen gibt es nicht. Selbst Jesus hat sich gegen ein solches Etikett gewehrt und gesagt: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. (Lk 18,19)
Karin Heepen