Die aktuellen Corona-Beschränkungen sollen trotz marginaler Fallzahlen den ganzen Sommer über aufrechterhalten werden und Großveranstaltungen bleiben bis Ende Oktober verboten. Zwei Drittel der Bevölkerung befürworten die Beibehaltung der Maskenpflicht und lediglich ein Drittel unterstützt die Rückkehr zur parlamentarischen Kontrolle der Regierung.
Bündnis C fordert, die vom Bundestag am 25. März getroffene Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufzuheben. Maßnahmen zur Corona-Krise müssen wieder zwangsläufig in den Parlamenten beschlossen werden, wie es unser demokratisches System vorsieht.
Laut einer Umfrage von INSA-Consulere unterstützen fast zwei Drittel der Befragten nicht die Rückkehr zur Normalität unseres demokratischen Systems, in dem der Bundestag das Entscheidungszentrum der Legislative ist. Dieses Ergebnis stellt die Erfahrbarkeit einer lebendigen parlamentarischen Demokratie im Land infrage und muss vor allem, wie INSA-Geschäftsführer Binkert zurecht feststellt, die Abgeordneten aufschrecken, dass ihre Rolle als Kontrolle der Regierung erfahrbar sein muss.[1] Es scheint in den Köpfen in Vergessenheit zu geraten, dass nach dem Prinzip der Gewaltenteilung die Gesetzgebung und die Regierung voneinander getrennt sind, um Machtkonzentration zu vermeiden. Das Parlament ist gesetzgebendes Organ, die Regierung gesetzesausführendes Organ, und sie hat sich gegenüber dem Parlament zu verantworten.
Dass zwei Drittel der Befragten die Entscheidung und Kontrolle des Bundestages über die Maßnahmen nicht für nötig hält, wirft ein Licht darauf, wie tief die Demokratie in unserem Land gefährdet ist. Menschen, die demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr kennen oder für entbehrlich halten, werden die Demokratie kaum verteidigen. Das von den Angstszenarien der Corona-Pandemie ausgelöste Sicherheitsbedürfnis hat offensichtlich der Regierung alle Gewalt in die Hände gespielt und das Vertrauen in demokratische Entscheidungsprozesse weiter verdrängt. Insofern ist das Vertrauen in das Krisenmanagement der Bundesregierung eher eine Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Ordnung. Keine Gefahr darf so instrumentalisiert werden, dass über deren unmittelbare Abwendung hinaus die Regierung allein das Zepter in der Hand behält. Auf vergleichbare Weise wurde das System der parlamentarischen Demokratie in den 1930er Jahren ausgehöhlt. Wenn das Prinzip der Gewaltenteilung als Garant von Demokratie und Rechtsstaat nicht mehr eingefordert wird, ist das Land auf dem Weg in die Diktatur einer Regierung, egal welcher Couleur.
Als Christen sind wir Anwälte für eine verantwortliche Freiheit der Menschen und unsere demokratischen Grundrechte. Sicherheit darf nicht mit einem Kontrollstaat erkauft werden, der das Leben abschneidet. Mit den andauernden Beschränkungen trotz kaum noch vorhandener Fallzahlen muss der Gesetzgeber die Frage beantworten, was für eine „neue Normalität“ er für die Bürger damit anberaumen will. Politik und Medien inszenieren noch immer die Worst-Case-Szenarien des Bundesinnenministeriums[2] und versuchen damit die Zustimmung zu den Maßnahmen aufrecht zu erhalten. Die Drohkulisse einer zweiten Welle nutzt sich aber ab, wenn kaum jemand Erkrankte kennt und auch angesichts von Massendemonstrationen und überfüllten Stränden keine Infektionszahlen explodieren. Die wenigen Hotspots wie in Fleischfabriken sind keine Rechtfertigung für Allgemeinverordnungen, sondern für lokale Quarantäne der Infizierten.
Besonders unmenschlich sind die Zustände noch immer in vielen Alten- und Pflegeheimen, die die Bewohner seit Monaten nicht verlassen dürfen, um Angehörige oder ein Restaurant zu besuchen. Senioren mit einer noch teilweisen Selbständigkeit werden ihrer oft ohnehin wenigen Kontakte und Freiheiten beraubt. Was von den Ministerien als verordneter Schutz verhängt wird, ist die Zerstörung von Menschlichkeit und Lebensqualität. Es geht für alte Menschen gerade nicht mehr nur um das pure Weiterleben, sondern um die Beziehungen zu nahestehenden Menschen und das Ausschöpfen der noch vorhandenen Lebensmöglichkeiten. Isolation bewirkt Depression, gerade für gefährdete Menschen. Verfährt man so mit einer Wählergruppe, die man nicht mehr zu fürchten hat bei den nächsten Wahlen?
Das Bundesverfassungsgericht hat am Aschermittwoch 2020 die Selbstbestimmung über den eigenen Tod über den Schutz des Lebens gestellt. So falsch es ist, das Recht auf Leben mit dem Recht auf den Tod gleichzusetzen, so wenig steht es dem Staat zu, über den Gesundheitsschutz des Einzelnen zu verfügen. Niemand schützt Raucher vor sich selbst, und für Alkohol wurde gerade die Mehrwertsteuer gesenkt trotz größter damit verursachter gesundheitlicher und volkswirtschaftlicher Schäden. Auch Senioren haben ein Recht auf Selbstbestimmung über ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre Beziehungen, das ihnen zu gewähren ist, solange in einer Einrichtung keine Infizierten sind. Das prophylaktische Wegsperren ist nicht alternativlos, sondern die Verantwortung in die Hände der Betroffenen und der Einrichtungen zu geben.
Leben ist mehr als unsere physische Existenz und verwirklicht sich in Beziehungen, nicht in Konsum und sozialer Distanz, die von den Rettungsmaßnahmen der Regierung protegiert werden. Und Demokratie lebt von freien Debatten, Abwägung der besten Argumente und verantwortlichen Beschlüssen der Parlamente. Die Rückkehr zu demokratischen Entscheidungsprozessen entscheidet über die politische Kultur und die freiheitliche Ordnung in Deutschland.
Karin Heepen
[1] INSA-NEWS Ausgabe 260, 26. KW, 26. Juni 2020
[2] Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/corona/szenarienpapier-covid-19.html S. 13