Nach der gescheiterten Wahl der Verfassungsrichter im Bundestag am 11. Juli 2025 geht die Diskussion um die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf weiter. Recherchen zahlreicher Medien und Juraprofessoren haben die Veröffentlichungen von Frau Brosius-Gersdorf unter die Lupe genommen und weitere Positionen und Stellungnahmen gefunden, die fundamentale Artikel des Grundgesetzes in Frage stellen, das sie als Verfassungsrichterin nicht umschreiben, sondern danach Recht sprechen soll. Wir fordern die CDU-Fraktion auf, gegenüber der SPD eine klare Position zu den christlichen Grundlagen des Grundgesetzes zu beziehen und die unveräußerlichen Grundrechte zu schützen.
So sprach sich Brosius-Gersdorf mehrfach gegen das Verständnis von Familie aus, wie es in Art. 6 GG unter dem besonderen Schutz des Staates steht. Sie definiert die Ehe als Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft von mindestens zwei Personen und hält somit Polygamie mit dem Grundgesetz vereinbar. Co-Mutterschaft und Co-Vaterschaft, Eizellspende und Leihmutterschaft sollen dazu legalisiert werden, Ehegattensplitting, die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern und die Witwenrente hingegen abgeschafft. Eltern sollen Anspruch auf Ganztagsbetreuung des Kindes ab Geburt haben.[1]
Brosius-Gersdorf befürwortete eine Corona-Impfpflicht und den Entzug der Grundrechte für Impfverweigerer, ungeachtet des Rechts auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 GG, das mit den bedingt zugelassenen Impfstoffen niemand gewährleisten konnte. Sie plädierte für die Aufhebung des Kopftuchverbots im öffentlichen Dienst, was mit dem Gebot weltanschaulicher Neutralität des Staates kollidiert.
Was den Protest breiter Bevölkerungsgruppen gegen ihre Wahl zur Verfassungsrichterin vor allem auslöste, ist ihre Position zur Menschenwürde und dem Lebensrecht ungeborener Kinder. Die bisherige Rechtsprechung des BVG, dass, wo menschliches Leben existiert, ihm Menschenwürde zukommt, bezeichnet sie in einer ihrer Schriften als biologisch-naturalistischen Fehlschluss.[2] Hintergrund dieser Konstruktion ist für Abtreibungsbefürworter das Dilemma gleicher Menschenwürde von Mutter und Kind im Schwangerschaftskonflikt, den Brosius-Gersdorf damit auflösen will, dass sie dem Embryo eine abgestufte Menschenwürde zuordnet und damit sein Lebensrecht gegenüber der Mutter relativiert. Damit steht sie in eklatantem Widerspruch zu den beiden grundlegenden Artikeln des Grundgesetzes, das sie als Verfassungsrichterin schützen soll:
Art. 1 I: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Art. 2 II 1: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Brosius-Gersdorf schrieb 2024 im Abschlussbericht der von der Ampel-Regierung eingesetzten Kommission zu § 218: „Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“[3] Damit unterfütterte sie ihr Plädoyer für die Legalisierung von Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft. Und tatsächlich ist, wie sie ausführt, der Konflikt zwischen dem Grundrecht des Embryos auf Leben und Rechten der Mutter ansonsten schwer auflösbar. Genau deshalb stand für die Mütter und Väter des Grundgesetzes über Artikel 2 das Gebot Gottes „Du sollst nicht töten“, das maximal dann einer Güterabwägung unterzogen werden kann, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Selbstbestimmung ist hingegen kein Grundrecht, sondern unterliegt der Verantwortung vor Gott und den Menschen, unter der in der Präambel das gesamte Grundgesetz steht. Wir sind nicht autonom geschaffen, sondern als Beziehungswesen und somit Gott und unseren Mitmenschen – in dem Fall für das Kind – verantwortlich.
Die Proteste gegen Brosius-Gersdorf richteten sich dann auch vor allem an die Abgeordneten von CDU/CSU, diese Verantwortung wahrzunehmen und ihr ihre Stimme als Verfassungsrichterin zu verweigern. CDU/CSU stehen als Partei auf dem Fundament der christlichen Ethik, die jedem Menschenleben als Geschöpf Gottes die gleiche, unveräußerliche Würde beimisst. Besonders schockiert waren viele CDU-Wähler von Bundeskanzler Merz‘ Ja auf die Frage der AfD-Abgeordneten von Storch in der Debatte, ob er diese Kandidatin für das BVG mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Man kann ihm zugutehalten, dass er sich mit der Frage nicht vorführen lassen und sich zurecht einer Gewissenserforschung durch die AfD verweigern wollte. Das hätte er dann aber besser so erklärt und zurückgewiesen, statt sich in einer hochbrisanten Sachfrage mit einer völlig unakzeptablen Antwort buchstäblich um Kopf, Kragen und Gewissen zu reden.
Das Gewissen vieler CDU-Abgeordneter wurde durch die Medienrecherchen und die Proteste aus der Bevölkerung jedenfalls geweckt und die Wahl verschoben. Als Begründung dafür mussten plötzlich aufgetauchte Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf herhalten, die sich als nicht stichhaltig erwiesen, statt ihre Eignung als Verfassungsrichterin aufgrund ihrer ideologischen Verfassung in Frage zu stellen:
Mit der Uminterpretation fundamentaler Aussagen des Grundgesetzes stellt Brosius-Gersdorf ihre politischen Überzeugungen über das Gesetz. Damit würde durch ihre Person für und durch das BVG massiver Schaden für die Gewaltenteilung entstehen. Das BVG ist nicht Gesetzgeber, sondern soll Gesetze der Legislative auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz prüfen. Mit der Relativierung der Menschenwürde würde ein Grundpfeiler des Rechtsstaates zerbrochen – mit unabsehbaren Folgen für Recht, Freiheit und Gewissen in unserer Gesellschaft.
In dieser Frage darf es keine Kompromisse und Zugeständnisse an die SPD geben. Man kann der SPD dankbar sein, dass sie mit der Causa Brosius-Gersdorf fundamentale Fragen des forcierten, neomarxistischen Kulturwandels ungewollt in die öffentliche Diskussion gebracht hat und zahlreiche Medien sie aufgegriffen haben. Das ist kein „rechter Mob“, wie SPD-Fraktionschef Miersch polterte, und auch nicht aus dem Ausland gesteuert, wie Grünen-Politiker Notz mutmaßte, sondern eine relative Mehrheit der Deutschen verneint laut einer INSA-Umfrage, dass die Menschenwürde erst ab der Geburt gilt. Die Bruchstelle der Koalition entlang fundamental gegensätzlicher Menschen- und Weltbilder, Ziele und Werte von CDU und SPD war vorgezeichnet und hat jetzt eine offene Kerbe bekommen. Es ist an der Fraktionsführung der CDU, über die Sommerpause dazu eine klare Position zu beziehen. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass die Christdemokraten ultimativ herausgefordert sind, ihr christliches Fundament zu stärken, um als Regierungspartei weiteren Schaden von unserem Land abzuwenden. Eine Regierungskoalition, die weiter die Fundamente unserer freiheitlichen Ordnung beschädigt, wird genauso scheitern wie die Ampel-Regierung. Wenn die SPD weiter mitregieren will, wird sie ihre Kandidatin zurückziehen.
[1] https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/lehrstuhl-brosius-gersdorf/Dokumente/Aktuelles/Thesen_zur_sozialen_Gerechtigkeit_im_Lebensweg.pdf
[2] Rechtskonflikte. Festschrift für Horst Dreier zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von Frauke Brosius-Gersdorf, Armin Engländer, Andreas Funke, David Kuch, Axel Tschentscher und Fabian Wittreck. Tübingen: Mohr Siebeck 2024, S. 756.
[3] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/238402/c47cae58b5cd2f68ffbd6e4e988f920d/bericht-kommission-zur-reproduktiven-selbstbestimmung-und-fortpflanzungsmedizin-data.pdf
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