In unserem Brief an christliche Werke und Gemeinden plädieren wir dafür, in unserem Denken und Handeln die politische mit der geistlichen Ebene zusammenzubringen. Das ist ungewöhnlich, besonders im Protestantismus, der in Deutschland stark von der Zwei-Reiche-Lehre geprägt wurde. Der folgende Beitrag nimmt verschiedene theologische Sichtweisen dazu auf und fragt nach unserem heutigen Auftrag als Christen in der Politik unseres Landes. Und er untermauert die 9,5 Thesen zu Christen und Politik.
Zwei Regimente unter der Oberherrschaft Gottes
Der Protestantismus ist in der Beziehung zu Staat und Obrigkeit stark von Luthers Lehre der Zwei Regimente geprägt, die im Laufe der Theologiegeschichte verschiedentlich zur Zwei-Reiche-Lehre ausformuliert wurde. Vorbereitet von Luthers prinzipieller Trennung der geistlichen von der weltlichen Sphäre, lösten sich die Landesherren im Zuge der Reformation aus der Herrschaft der Kirche und es wurde in der Folge der Trennung von Staat und Kirche der Weg bereitet.
Luther hat den unterschiedlichen Charakter der beiden Regimente Gottes beschrieben: das geistliche Regiment im anbrechenden Reich Gottes, in dem Christus in Wort und Sakrament durch das Evangelium regiert und die Welt für die Ewigkeit erlöst, und das weltliche Regiment der Obrigkeit, die von Gott eingesetzt ist, um mittels Gesetzen für Ordnung, Erhalt und Schutz des zeitlichen Lebens zu sorgen. Beide Regimenter stehen unter der Oberherrschaft Gottes und sind von ihm eingesetzt.
Als Christen leben wir in beiden Reichen gleichzeitig: nach den geistlichen Prinzipien des Reiches Gottes, wo es nach der Bergpredigt keine Gewalt geben darf, und in einem Staat nach dessen Gesetzen, wo durch das Predigt- und Schwertamt regiert wird. Gehorsam gegenüber der Staatsgewalt erstreckt sich nach Luther auf das Zahlen von Steuern, ihre Gesetze und den Respekt der Obrigkeit (Mt 22,21; Röm. 13), nicht auf den Glauben und Gehorsam gegen Gott (Apg. 5,29). Luther forderte die Christen auf, sich der weltlichen Herrschaft unterzuordnen und auch im Reich der Welt dem Nächsten zu dienen. Für sich selbst sollen und können sie Unrecht auch der Obrigkeit erleiden. Für den anderen aber sollen sie Unrecht verhindern und mit dafür sorgen, dass das Böse in Zaum gehalten und bestraft wird.[1]
Luthers Aussagen zu den beiden Regimentern haben demnach mehr beschreibenden und nicht normativen Charakter dahingehend, dass die beiden Reiche strikt getrennt seien und einander nicht beeinflussen sollen. Im Gegenteil waren die Landesfürsten zu seiner Zeit oft weltliches und Kirchenoberhaupt in Personalunion, was die jahrzehntelangen Machtkämpfe und Glaubenskriege zumindest mitbegründete. Eine strikte Absonderung des geistlichen vom weltlichen Regiment Gottes hätte jedoch der Reformation niemals zum Durchbruch verholfen, die ausgehend von der Kirche gerade auch eine Reformation der Gesellschaft in fast allen ihren Lebensbereichen war. Wurde der Bevormundung der politischen Herrschaft durch die Kirche mit der Reformation zurecht ein Ende gesetzt, so entband Luther die Landesfürsten keinesfalls vom Gehorsam gegen Gott, sondern ermahnte sie bekanntlich sehr freimütig, gerecht zu regieren und Gottes Wort zu halten.
Luther warnte, dass die Kirche nicht nach politischer Herrschaft greifen und die Landesherren sich aus der Kirche heraushalten sollen. Die Trennung von Staat und Kirche bedeutet eine Unterscheidung der Zuständigkeiten für die Gesellschaft. In Deutschland haben wir eine Kooperation von Staat und Kirche, bei der dennoch die Eigenständigkeit der Kirche gewahrt ist. Die Regelung der Zuständigkeiten auf institutioneller Ebene sagt aber noch nichts über den Dienst des Christen als Bürger der beiden Reiche aus.
Katholische Soziallehre und öffentliche Verantwortung
Die Katholische Soziallehre entstand im 19. Jahrhundert in den tiefgreifenden Veränderungen der industriellen Revolution mit dem Aufkommen der sozialen Frage. Sie entwickelte Antworten auf die entstehenden sozialen Ideologien: den Liberalismus einerseits mit einer individualistischen Gesellschaftskonzeption innerhalb der kapitalistischen Klassengesellschaft und den Sozialismus andererseits, mit dem der Marxismus deren kollektivistische Überwindung anstrebte. Im Ringen darum kristallisierten sich die Grundwerte der Katholischen Soziallehre von Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl heraus, die der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt Orientierung und Zusammenhalt geben sollen. Ihre Forderungen nach gerechtem Lohn, menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, der gerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie soziale Partnerschaft flossen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland in die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft ein. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Katholische Soziallehre auf weitere Hauptfelder der Politik angewandt. In der zunehmend pluralistischen Gesellschaft betont sie, dass der weltanschaulich neutrale Staat sich seiner Wertegrundlagen bewusst sein muss, weil sie die Voraussetzung für die Konzeption der Demokratie und der Menschenrechte bilden. Und sie mahnt die Besinnung auf die personalen Ordnungsstrukturen einer funktionierenden Gesellschaft an, die in Ehe und Familie, privatem Eigentum und seiner sozialen Verantwortung und in Staat und Gemeinwohl ihre Eckpunkte haben.
Erkenntnisquellen der Katholischen Soziallehre sind die biblische Offenbarung und das Naturrecht. Sie anerkennt die relative Autonomie der gesellschaftlichen Lebensbereiche und der ihnen zugeordneten Wissenschaften. Für die Lösung sozialer Aufgaben und gesellschaftlicher Kontroversen ist jedoch der Dialog der Theologie insbesondere mit den Human- und Sozialwissenschaften erforderlich. Christen sind gefordert, in Beruf, Gesellschaft und Politik öffentliche Verantwortung zu übernehmen und für die in der Katholischen Soziallehre verankerten Prinzipien und Grundwerte einzutreten.
Neuorientierung im Protestantismus
Schauen wir noch kurz in das Alte Testament: Im Volk Israel finden wir die Unterscheidung verschiedener Zuständigkeiten in ihrer Verantwortung für das Land vor Gott. Dennoch werden Könige und Fürsten, Priester und Propheten (Jer 32,32) in einem Atemzug genannt, wenn es um die Geschicke des Landes geht. Alle werden von Gott berufen und auf Seine Weisung eingesetzt. Propheten haben die Könige beraten und gewarnt, Priester deren Schuld gesühnt. Aufstieg und Fall des Volkes Israel waren abhängig davon, ob die Könige taten, was Gott ihnen im Gesetz des Mose geboten hatte, oder nicht.
Vom Neuen Testament her hat das Verhältnis von Staat und Kirche insbesondere Karl Barth in der Zeit des Nationalsozialismus neu aufgerollt. In der erneuten Auseinandersetzung mit der Zwei-Reiche-Lehre wurde Luther nach dem Zweiten Weltkrieg vorgeworfen, mit der Forderung von Hörigkeit gegenüber der Obrigkeit mit den Weg für die versuchte Gleichschaltung der Kirche mit dem Nazi-Regime durch die Deutschen Christen bereitet zu haben. Seine Unterscheidung von weltlichem und geistlichen Regiment hätte den Staat aus der Bindung an Gott gelöst und damit der Kirche die Möglichkeit genommen, Unrecht im weltlichen Bereich entgegenzutreten.
Die Säkularisierung des Staates ging jedoch nicht von Luther aus, sondern war ein Resultat der Aufklärung. Wie bereits oben erwähnt, hat Luther die weltliche Herrschaft nicht vom Gehorsam gegen Gott entbunden und beide Regimente unter die Oberherrschaft Gottes gestellt. Der Nationalsozialismus setzte sich hingegen selbst an die Stelle Gottes und erhob über den weltlichen Bereich hinaus absoluten Anspruch auf beide Regimente über den Menschen. In der Auseinandersetzung mit der Theologie und dem Kirchenregime der Deutschen Christen verfasste die Bekennende Kirche auf der Bekenntnissynode in Barmen am 31. Mai 1934 die Barmer Theologische Erklärung. Zum Verhältnis von Staat und Kirche sagt These 5:
Fürchtet Gott, ehrt den König. (1. Petr 2,17)
Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt. [2]
Bonhoeffer betont denselben Wirkungsbereich von Staat und Kirche: „Obrigkeit [weltliches Regiment] und Kirche [göttliches Regiment] sind durch denselben Herrn gebunden und aneinander gebunden. Obrigkeit [äußere Gerechtigkeit: Böse bestrafen und Erziehung zum Guten] und Kirche [Wächteramt] sind in ihrem Auftrag voneinander getrennt. Obrigkeit und Kirche haben denselben Wirkungsbereich, die Menschen. Keines dieser Verhältnisse darf isoliert werden …“[3]
Protestantische Christen waren ambivalent geprägt in ihrer Haltung gegenüber der Obrigkeit zwischen Unterordnung, aktiver Beteiligung an der Staatsgewalt und passivem Widerstand gegen Unrecht der Regierenden. Barth unterstellte deshalb beide Regime deutlicher der Königsherrschaft Jesu Christi: „Sie [die Bürgergemeinde] hat also keine vom Reich Jesu Christi abstrahierte, eigengesetzlich begründete und sich auswirkende Existenz, sondern sie ist – außerhalb der Kirche, aber nicht außerhalb des Herrschaftskreises Jesu Christi – ein Exponent dieses seines Reiches. Sie gehört eben nach neutestamentlicher Erkenntnis zu den ‚Gewalten‘, die in ihm geschaffen und durch ihn zusammengehalten sind (Kol. 1,16f.), … weil sie … in ihrer Gesamtheit ihm übergeben und zur Verfügung gestellt sind (Matth. 28,18).“[4]
Wenn Jesus sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 18,36f), dann sagt das nichts über seinen und unseren Wirkungsbereich aus, sondern über die Herkunft seiner Herrschaft bei Gott. Er hat die geistliche Ebene in die politische hineingebracht.
Christengemeinde und Bürgergemeinde
Grundlegend ist die Beantwortung der Frage, ob das Recht auf die Rechtfertigung und die politische Gewalt auf die Gewalt Christi gegründet sind. Nach Barth hat die Ablösung der weltlichen Gesetzgebung von ihrer christlichen Grundlage auf der Seite der Kirche zu einem innerlich-geistlichen Agieren wie im Pietismus geführt und auf der Seite des Staates in eine aufklärerische, säkulare Unfruchtbarkeit. Bei den Reformatoren standen hingegen Rechtfertigung und Recht, Reich Christi und andere Reiche, Kirche und Staat nebeneinander. Ein Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit ist ein Leben in beiden Bereichen.[5]
Die politische Gemeinde ist nach Barth der äußere Wirkungskreis der Christengemeinde. Er sieht die „Politisierung“ der Kirche darin, dass sie den Staat sieht, würdigt und anspricht. Die grundlegende Leistung der Kirche für den Staat ist die Fürbitte für die Staatsdiener (1Tim 2,2), weil diese ihre Macht nur von Gott her haben und erhalten können (Spr 16,12). Damit erinnert die Kirche den Staat an seine Schranken und sich selbst an ihre Freiheit ihm gegenüber. Diese Verantwortlichkeit der Kirche ist für einen Unrechtsstaat umso größer. Unterordnung heißt, die Staatsbeamten zu respektieren aufgrund der göttlichen Anordnung in Röm 13,2, auch wenn die Kirche Unrecht leidet. Wenn die Staatsgewalt von Gott angeordnet ist, ist sie zugleich von Ihm begrenzt.[6]
Röm 13 spricht nur über einen Obrigkeitsstaat und seine Untertanen, nicht jedoch über eine demokratische Ordnung und seine dafür mitverantwortlichen Bürger. Es scheint kein Zufall zu sein, dass gerade im Einflussbereich der christlichen Kirchen – also dem christlichen Abendland – in der neueren Geschichte demokratische Staaten errichtet wurden, die nicht mehr von einem unter Umständen willkürlich agierenden Herrscher regiert werden, sondern der verantwortlichen Beteiligung seiner Bürger vertrauen. Durchbricht bereits das Gebet für die Regierenden ein Schema rein passiver Untertänigkeit unter einen Obrigkeitsstaat, so setzt sich dieses Eintreten der Christen für den Staat in demokratischen Systemen in der Tat fort. Weil wir als Christen den irdischen Staat nicht nur erdulden, sondern wollen als ordnende Gewalt für unsere Gesellschaft, und weil wir ihn als Rechtsstaat wollen, damit er seinen göttlichen Auftrag erfüllt, dürfen wir uns aus dem politischen Bereich nicht heraushalten und sind für den Charakter dieses Staates mitverantwortlich, berufen und haftbar. Mit der Ausübung unserer Mitverantwortung für den Staat ordnen wir uns der Sache der Bürgergemeinde unter, weil sie Gottes Sache ist. In der Verbindung zwischen Christengemeinde und Bürgergemeinde haben wir gemeinsame Aufgaben in der politischen Gemeinde.
Gleichzeitig stellt Barth heraus, dass die Kirche am besten für die Aufrichtung und Erhaltung des menschlichen Rechts sorgt, indem sie die göttliche Rechtfertigung verkündigt. Indem sie diesen ihren Kernauftrag erfüllt, begründet und erhält sie auch den Staat.[7] Hingegen sie nimmt dem Staat sein rechtliches Fundament, wenn sie nicht mehr Kirche und damit Wächteramt im vollen Sinne des Wortes Gottes ist.
Von Gott eingesetzt oder System des Bösen?
Kein Staat muss ein Unrechtsstaat werden. Er kann seiner Bestimmung treu bleiben, Recht sprechen und das Recht schützen. Dafür sind wir als Christen mitverantwortlich. Der Staat kann aber auch das Tier aus dem Abgrund werden (Offb 13). Er hat die Macht, in der Ausübung der ihm von Gott gegebenen Macht, statt Recht zu sprechen dem Unrecht im Gewand des Rechts freien Lauf zu lassen. Wenn staatliche Gewalt von Gott gesetzt ist, kann sie nicht per se dämonisch sein, es aber unter dem Fürst dieser Welt werden (Joh 14,30), wie wir das im Nationalsozialismus, in kommunistischen und anderen Unrechtsregimen erlebt haben und erleben.[8] Der Staat darf weder vergöttert – also absolut und autonom gesetzt –, noch generell verteufelt werden.
Wenn sich die Staatsgewalt gegen Gott, dem sie ihre Macht verdankt, widersetzt, stellt sich die Frage nach der Mitwirkung von Christen in der Politik erneut. Das Gebet für die Träger der Staatsgewalt gehört auch dann zum eisernen Bestand der Kirche. Wenn unser Mitwirken als Christen im Staat ein Gebot Gottes ist, weil jede Obrigkeit ihre Macht von Ihm hat und entsprechend ausführen soll, so muss dieses Mitwirken auch den Ruf in Gottes Ordnungen umfassen, wenn die Obrigkeit diese Ordnungen missachtet. Wo sich Christen nicht mehr kompromisslos an ihrer Regierung beteiligen können, muss die Kirche diesen Dissens im kritischen Respekt öffentlich zum Ausdruck bringen. Respekt des Staates ist keine absolute Fügsamkeit, sondern wird in dem Fall nach Barth zu einer passiven Unterordnung. Der passive Respekt einer sich den Geboten Gottes widersetzenden Staatsgewalt ist aber weder apolitisch, noch gleichgültig oder neutral. Desinteresse wäre im Sinne von Röm 13,2 passive Widersetzung und Distanz, die den Auftrag der Kirche für den Staat nicht erfüllt. Die Kirche verteidigt dann den Staat gegen diesen Staat, indem sie Gott mehr gehorcht als den Menschen und mit ihrer Fürbitte dafür eintritt, den Staat wiederherzustellen und vor dem Untergang zu retten. „Wie die göttliche Rechtfertigung das rechtliche Kontinuum ist, so ist die Kirche das politische Kontinuum.“[9]
Wo stehen wir in Deutschland?
Wenn wir uns den Lauf der Vorgeschichte vergegenwärtigen, so hat Luther mit der Beschreibung der zwei Regimente den Weg bereitet für die Trennung von Staat und Kirche. Renaissance und Aufklärung waren der Anfang der Säkularisierung der Politik wie auch der modernen Bibelkritik, die vor allem die protestantische Kirchen schwächte und damit auch deren Wächteramt. Die Katholische Soziallehre schlug sich mit ihrer Betonung der gesellschaftlichen Verantwortung des Christen im politischen Katholizismus nieder. Als deren wichtigster Repräsentant wurde 1870 die Zentrumspartei gegründet und stellte sich im Kulturkampf in Opposition zur Reichsregierung von Otto von Bismarck – auch gegen die protestantische Vorherrschaft. Bis zur Machtübernahme Hitlers und ihrer erzwungenen Selbstauflösung am 5. Juli 1933 trieb die Zentrumspartei die Sicherung der Weimarer Republik und den Ausbau des Sozialstaates voran und stellte fünf Reichskanzler. Zahlreiche Zentrumspolitiker organisierten sich in der Folge im Widerstand gegen das NS-Regime. Viele wurden verfolgt und umgebracht.
Nach dem Krieg riefen mehrheitlich NS-Verfolgte zur Gründung der CDU auf, die als überkonfessionelle christliche Partei den Wiederaufstieg Deutschlands prägte. Ihre weltanschaulichen Wurzeln sind die katholische Soziallehre, der Konservatismus und der Ordoliberalismus.
Noch immer hält sich unter Christen teilweise hartnäckig die Überzeugung, dass das weltliche Regiment grundsätzlich Herrschaftssystem des Fürsten dieser Welt ist, von dem man sich besser fernhält. Wenn es dazu wird, hat jedoch die Kirche versagt: Einerseits in ihrem Wächteramt, wenn sie die Klarheit des Wortes Gottes gegenüber den Regierenden vermissen lässt oder sich gar zum Sprachrohr der Regierung macht. Andererseits in der Beteiligung der Christen in der Politik, wenn sie die Gebote Gottes relativieren und ihrer parteipolitischen Orientierung unterordnen oder sich von der Politik ganz fernhalten. Keiner kann erwarten, dass die Politik frömmer ist als die Kirche. Wo das geistliche Regiment keinen prägenden Einfluss auf das weltliche Regiment nimmt, kann ein Staat zu jedem Unrecht fähig werden.
Wir stehen in Deutschland am Scheideweg. Die CDU/CSU hat die christlichen Grundwerte, mit denen sie über Jahrzehnte die Regierungspolitik geprägt hat, parallel mit der geistlichen Kraftlosigkeit der Kirchen in Deutschland aufgegeben. 1989 gründete sich als Reaktion darauf die PBC, 2008 die AUF-Partei, 2015 Bündnis C als gemeinsame Nachfolgepartei. Dennoch wurde die Säkularisierung der Politik nicht aufgehalten.
Wir sehen heute: Wenn die Kirche der Garant für einen gerechten Staat ist, kann Umkehr in der Politik nur aus ihr heraus kommen. Ab dem Jahr 2000 formierten sich in Deutschland überkonfessionelle Gebetsbewegungen für die Politik. Heute rufen christliche Leiter zu nationaler Buße auf über die Relativierung des Anspruchs des Wortes Gottes in Wort und Tat – sowohl in der Kirche als auch in der Politik. Wir brauchen keine politisierte Kirche, sondern eine, die das Wort Gottes predigt. Und wir brauchen Politiker, die die Bibel kennen, daran ihre Politik ausrichten und die Wege Gottes für unsere Gesellschaft aufzeigen.
Wir sehen aus unserer Geschichte auch, dass eine gespaltene Kirche eine Gefahr für sie selbst und für die Politik des Landes ist. Heute geht die politische Spaltung quer durch die Kirchen. Die ideologische Polarisierung ist auf der politischen Ebene nicht zu lösen. Einheit der Christen kann nur auf der geistlichen Ebene wachsen, wo es nicht zuerst um politisch richtig oder falsch geht, sondern um Christus, der die Wahrheit ist, und seinen Leib, der in Liebe verbunden sein soll. Danken wir dem Herrn, dass Einheit der Kirche gewachsen ist insbesondere in den Gebetsbewegungen und die nächste Generation kaum noch in konfessionellen Grenzen denkt und handelt. Es wächst eine Einheit der Christen und Gemeinschaften im Geist heran, die Licht sein und das Land erneut prägen kann.
Werden wir damit die antichristliche Entwicklung der Politik in Deutschland aufhalten? Die Politik kann das Tier aus Offb 13 werden und wird es am Ende der Zeiten. Bis dahin bitten wir den Herrn um Erbarmen für unser Land und stehen als Partei für eine geistliche Wende bereit. Dafür braucht es auch für uns Reinigung, damit wir nicht mit den Mitteln der Welt kämpfen, sondern geleitet vom Wort und Geist Gottes, und bereit sind, den Preis zu zahlen. Beten wir um Gnade, dass eine geistliche Erneuerung Deutschlands noch einmal Politik und Gesellschaft unseres Landes ergreift und uns und anderen Ländern zum Segen wird.
Karin Heepen
Bundesvorsitzende
[1] Vgl. Martin Luther, Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, in: Aland, Kurt (Hg.), Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, Bd. 7, Stuttgart und Göttingen, Der Christ in der Welt 1967, S. 9-51.
[2] https://www.evangelisch.de/inhalte/113515/15-09-2012/Die%20Barmer%20Theologische%20Erkl%C3%A4rung%20%281934%29
[3] Dietrich Bonhoeffer, Ethik-Fragment, München 1992, S. 39ff.
[4] Karl Barth, Rechtfertigung und Recht. Christengemeinde und Bürgergemeinde [u.a.], Zürich, Theologischer Verlag 1998, S. 53.
[5] Vgl. Barth, a.a.O., S. 7ff.
[6] Vgl. Barth, a.a.O., S. 32ff.
[7] Vgl. Barth, a.a.O., S. 42ff.
[8] Vgl. Barth, a.a.O., S. 13ff.
[9] Barth, a.a.O., S. 38