Deutschland gerät innerhalb der EU unter Druck wegen seiner Alleingänge in der Energie- und Verteidigungspolitik. Besonders die Spannungen zu Frankreich und Polen verschärfen sich, deren Verbindung mit Deutschland die tragende Achse für die Stabilität Europas und in der jetzigen Kriegssituation bildet. Die deutsche Außenpolitik muss sich in ihrer Kommunikation als zuverlässiger Partner positionieren.

Die von der Bundesregierung freigegebenen 200 Milliarden Euro zum Ausgleich der hohen Energiepreise für die Bürger und die Industrie werden in der EU als Wettbewerbsverzerrung gesehen. Grundsätzlich hat jeder EU-Staat das Recht, nationale Entscheidungen zu treffen. Deutschlands Industrie hat einen größeren Energiebedarf als andere Länder und musste schon vor Kriegsbeginn mit höheren Energiepreisen im europäischen Wettbewerb bestehen. 200 Milliarden Euro neuer Schulden sind aber kein Vorteil, weil sie Deutschland längerfristig eher destabilisieren und den hochverschuldeten Ländern Europas näherbringen. Die Kritik zeigt jedoch Verunsicherung und schwindendes Vertrauen in die Verlässlichkeit der deutschen Politik an, die bisher als integrierende Kraft in Europa gewirkt hat.

Bundeskanzler Scholz regte Ende August den Aufbau einer gemeinsamen Luftabwehr in Nordeuropa unter deutscher Führung an, ohne sich zuerst darüber mit den unmittelbaren Nachbarn Frankreich und Polen abzustimmen. Am 13. Oktober unterzeichnete Deutschland mit weiteren 14 Staaten am Rande des Nato-Rats in Brüssel eine Absichtserklärung für den „European Sky Shield“, einen europäischen Abwehrschirm, ohne die Beteiligung Polens und Frankreichs. Polen entwickelt bereits mit den USA und Großbritannien zusammen Luftverteidigungsprogramme und lehnt ein Luftabwehrsystem unter deutscher Führung ab. Frankreich hingegen will eine europäische Luftabwehr unabhängig von israelischer und amerikanischer Technik aufbauen, die in Scholz‘ Plänen vorgesehen ist.

Nach vorangegangenen Auseinandersetzungen zwischen Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsident Macron wurden die für Oktober geplanten deutsch-französischen Regierungskonsultationen abgesagt wie auch ein trilaterales Treffen der Präsidien der Parlamente von Deutschland, Frankreich und Polen im Rahmen des Weimarer Dreiecks. Die Kommunikation und das Vertrauen in die deutsche Außenpolitik sind in Ost- und Westeuropa gestört.

Die Beziehung zu Polen ist seit Beginn des Krieges angespannt wegen der Zurückhaltung Deutschlands bei Energieembargos gegen Russland und bei Militärhilfe für die Ukraine. Die polnische Regierung hat Deutschland zudem am 3. Oktober per diplomatischer Note Weltkriegsschäden in Höhe von 1,3 Billionen Euro in Rechnung gestellt. Aus deutscher Sicht sind Reparationsforderungen mit dem Potsdamer Abkommen von 1945 und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 abgeschlossen, bei denen polnische Ansprüche jedoch nicht berücksichtigt wurden. Die Beziehung zu unseren polnischen Nachbarn ist noch immer sehr verwundbar und braucht Kommunikation auf Augenhöhe. Die Verluste und Schäden, die Deutschland Polen im Zweiten Weltkrieg zugefügt hat, sind nur bedingt bezahlbar, müssen aber verhandelt werden, wenn Polen es einfordert, damit der Weg für Heilung und Versöhnung gebahnt wird.

Die deutsch-französische Freundschaft, die seit dem Zweiten Weltkrieg gewachsen ist und zur treibenden Kraft der europäischen Einigung wurde, muss jetzt unter Kriegsbedingungen ihren Test bestehen. Die Streitpunkte in der Energie- und Verteidigungspolitik sind nicht neu und können in der jetzigen Krisensituation Lösungen zugeführt werden, die Europa insgesamt dienen. Deutschland muss nicht jede Forderung der Nachbarstaaten oder der EU erfüllen, aber Wege der Verständigung bahnen und offenhalten. Angesichts des Krieges Russlands gegen die Ukraine und der Energiekrise sind der Wille zu gemeinsamen Lösungen und die Stabilisierung der Beziehungen in Europa gefragt.