Das Leitmotiv der Corona-Politik der Bundesregierung lautet: Wir handeln wissenschaftsbasiert und die Maßnahmen sind alternativlos, um Leben zu schützen. Die Kirchen haben dieses Narrativ weitgehend übernommen: Die Wissenschaft ist eine Gabe Gottes; wir vertrauen ihr und unterstützen die Maßnahmen der Regierung, um Leben zu retten. Bündnis C fordert eine umfassende Nutzen-Schaden-Analyse der Lockdown-Maßnahmen anhand aktueller wissenschaftlicher Daten und den Respekt der gottgegebenen Würde und Freiheit der Menschen. Der folgende Beitrag ordnet die Rolle der Wissenschaft ein für die Entscheidungen der Politik, deren Kompetenzen und Grenzen.

Wissenschaft erzeugt eine geprüfte Form von Wissen und Erkenntnisgewinn. Damit hat sie keinesfalls das Monopol über das Wissen. Anerkannte Wissensformen außerhalb der Wissenschaften sind zum Beispiel lebensweltliches, handwerkliches oder künstlerisches Wissen, das durch lebenspraktische Erfahrung entwickelt wird. Wissenschaftliches Wissen wird hingegen mittels spezifischer Prüfverfahren validiert und immer neu auf seinen empirischen und logischen Wahrheitsgehalt überprüft. Über das, was als wissenschaftliche Erkenntnis nach dem aktuellen Forschungsstand gilt, entscheiden die Wissenschaften selbst. Wissenschaft erzeugt demnach keine immer gültige Wahrheit, sondern unterliegt der ständigen Verpflichtung zum Zweifel, zur weiteren Prüfung und Validierung. Wissenschaftlich geprüftes Wissen wird durch gegenseitige Kritik der Wissenschaft im Rahmen wissenschaftlicher Kontroversen gebildet. Wo diese Kontroversen wie über das Corona-Virus einseitig geführt oder unterbunden werden, wird wissenschaftliche Erkenntnis behindert.

Für komplexere Entscheidungen wie über den Umgang mit dem Virus braucht es zudem die Debatte nicht nur einer Wissenschaftsdisziplin wie der Virologie, sondern eine Gesamtschau beteiligter Disziplinen wie der Epidemiologie, Präventivmedizin, Soziologie und Psychologie, Wirtschafts- und Erziehungswissenschaften, um nur einige zu nennen. Hinzuzuziehen wären bei so extremen Einschnitten in das gesellschaftliche Leben auch die oben erwähnten lebensweltlichen Wissensformen. Eine interdisziplinäre Vorbereitung der Regierungsentscheidungen über die Schutzmaßnahmen wird seit Anbeginn der Pandemie immer wieder angemahnt. Eine Ausgewogenheit der Maßnahmen zum Besten für das Land ist nicht mit dem allein virologischen Blick auf Fallzahlen und Inzidenzen zu erwarten.  

Für die Entscheidung über politische Maßnahmen braucht es auf der Basis dieser wissenschaftlichen und lebensweltlichen Gesamtschau eine Nutzen-Schaden-Analyse. Die immer wieder geforderte Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ist keine subjektive Einschätzung, sondern das Ergebnis dieser Analyse der insgesamt zu erwarteten positiven und schädlichen Folgen der Maßnahmen. Ziel muss es sein, die Mortalität und den sozialen Schaden zu minimieren, bis eine Herdenimmunität erreicht ist.[1]

Wird der Fokus auf nur einen Aspekt wie das Virus gelegt, wird dieser zum Maß aller Dinge erhoben und erhält den Status des quasi absoluten Bösen, das bekämpft werden muss – ohne Rücksicht auf Verluste. Ein solches, einseitiges Vorgehen wird den vielfältigen Gefahren unserer Lebensrealität nicht gerecht, sondern ist totalitär und wird regelmäßig größere Schäden nach sich ziehen. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen mittlerweile, dass infolge der Lockdowns insgesamt ein Vielfaches mehr an Lebensjahren vernichtet als vor dem Virus gerettet wird. Die Schäden übersteigen den Nutzen insbesondere durch die erneute Zunahme prekärer Armut.[2] Nach einem Jahr liegen außerdem Daten aus aller Welt über die Wirkungen der verschiedenen Regierungsmaßnahmen auf die Ausbreitung des Virus vor. Aus den Daten der verschiedenen Länder ist nicht zu erkennen, dass Lockdowns die Pandemieentwicklung nachhaltig beeinflussen und damit evidenzbasiert sind. Spätestens diese Daten erfordern eine ganzheitliche wissenschaftliche Auswertung und eine erneute Nutzen-Schaden-Analyse.  

Die Wissenschaften können Daten nach ihrem aktuellen Forschungsstand liefern. Sie können und dürfen daraus aber keine normativen Aussagen ableiten, was die Politik tun sollte, sondern bestenfalls Handlungsempfehlungen unter Einbezug aller (!) Wissenschaftsdisziplinen. Mit normativen Aussagen verlässt die Wissenschaft ihr Terrain und erhebt sich in den Stand einer Quasi-Religion, den sie nicht ausfüllen kann. Wissenschaft darf sich erst recht nicht instrumentalisieren lassen für politische Maßnahmen wie die Leopoldina mit ihrer Ad-hoc-Stellungnahme vom Dezember 2020[3], sondern muss von äußeren Forderungen unabhängig bleiben. Ansonsten wird Forschung mit Vorannahmen betrieben, die Objektivität und Validität manipulieren. Die Freiheit der Wissenschaft ist Bedingung für demokratische Debatten um die besten Argumente und Lösungen.  Die Medien haben die Funktion, über die verschiedenen Standpunkte aufzuklären, nicht diese zu bewerten.

Wie konnte es dazu kommen, dass unsere Gesellschaft weithin in einer Weise wissenschaftsgläubig wurde, die Wissenschaft überhöht und überfordert? Die Aufklärung forderte den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit und sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen (Immanuel Kant). Damit löste sich die menschliche Vernunft aus dem Vertrauen in Gott und dem Glauben an die normativen Aussagen Seines Wortes für unser Leben. Nun kehren Menschen in eine selbstverschuldete Unmündigkeit zurück im Glauben an die Wissenschaft und lassen ihren Verstand von der Politik leiten. Die Instrumentalisierung der Angst vor dem Virus für die kollektive Aufgabe des freien Denkens wird möglich, wenn die menschliche Vernunft ihren Anker in der Weisheit ihres Schöpfers verlassen hat. Sie verengt sich auf ein Credo wie das „Hauptsache gesund“ und wird damit zum Objekt einer rein naturwissenschaftlich auf physische Gesundheit reduzierten Medizin.

Als christliche Partei unterstellen wir wissenschaftliche Erkenntnis der geistlichen Ebene. Versucht die Wissenschaft, ihre Erkenntnis absolut zu setzen, und eine Regierung ihr darauf basierendes Handeln als alternativlos darzustellen, überschreiten sie ihre Kompetenzen. Die Wissenschaften dienen der Erkenntnis der Schöpfung und sind uns von der allumfassenden Erkenntnis Gottes gegeben. In Verantwortung vor Ihm und den Menschen müssen politische Maßnahmen für den Umgang mit dem Virus beurteilt und getroffen werden. Zu einer umfassenden Nutzen-Schaden-Analyse anhand aktueller wissenschaftlicher Daten, wie oben beschrieben, muss der Respekt der gottgegebenen Würde und Freiheit der Menschen kommen: Es verletzt die Würde des Menschen, ihn mittels Angst in unmündige Hörigkeit gegenüber Wissenschaft und Politik zu bringen. Der Zweck heiligt nie die Mittel. Und es verletzt die Freiheit der Menschen, ihnen mittels Kontaktverboten die Eigenverantwortung für ihr Leben zu nehmen – einschließlich des Gesundheitsschutzes ihres eigenen Umfeldes. Dafür kann es wissenschaftliche Empfehlungen geben. Aber politisch ist das keine wissenschaftliche Entscheidung, sondern eine ethische.

Wissenschaft und Politik brauchen schlussendlich die Unterordnung unter die Autorität Gottes für eine realistische Sicht auf die Gefahr durch das Virus und für einen verhältnismäßigen und angstfreien Umgang damit. Schutzmaßnahmen und Impfungen können das Virus bremsen, aber nicht auslöschen. Befreiung von der Pandemie kommt, wenn wir wissen, dass unser Leben nicht in der Hand des Virus, der Wissenschaft oder der Politik ist, sondern in der Hand Gottes.  


[1] Vgl. Die Great Barrington Erklärung  https://gbdeclaration.org/die-great-barrington-declaration/

[2] Vgl. Protestschreiben Prof. Esfeld an die Leopoldina https://www.docdroid.net/o9FTAAe/esfeld-protestschreiben-an-leopoldina-vom-081220-pdf

[3] https://www.ds.mpg.de/3682023/201208-Stellungnahme-Corona_Feiertage_final.pdf