Political Wisdom/Politische Weisheit
Viele Christen interessieren sich für die Vorgänge in Politik und Gesellschaft. Die Berichte in den Medien finden reges Interesse. Doch selbst politisch aktiv werden? Da ist Skepsis bis Ratlosigkeit angesagt. Ist das überhaupt gut, wenn Christen Politik machen wollen? Die Trennung von „Kirche und Staat“ verbietet das doch. Und eine „evangelikale Rechte“ wie in den USA wollen wir in Deutschland doch auch nicht. Das würde die Offenheit der Menschen für Evangelisation in Deutschland erschweren, oder?
1. Ist es weise für Christen in die Politik zu gehen?
Sicher ist es immer weise für die herrschenden Politiker zu beten. Egal für wen! Dazu fordert Paulus die Gemeinden im Neuen Testament auf. Dies schreibt er an seinen Mitarbeiter Timotheus (1. Tim 2) und im Brief an die Gemeinde in Rom (Röm 13). Letzteres zu einer Zeit, in der vermutlich der Christenverfolger Nero Kaiser war.
Doch ist es ausreichend für die Regierenden zu beten und ansonsten ein braver Bürger zu sein? In einer Demokratie wie der unsrigen sind alle Bürger aufgefordert, am Gemeinwohl und der politischen Meinungsbildung mitzuwirken. Doch ist das weise, wenn Christen dies tun? Schließlich gibt es Dinge, die nur Christen machen können. Und Politik bekommen die Nicht-Christen schließlich auch irgendwie hin. Vielleicht sogar besser als die Christen?
Ist Jesus Politiker geworden?
Was ist überhaupt „weise“? Schauen wir auf den Urgrund aller Erkenntnis: Gott hat sich in Jesus offenbart. Was hat Jesus gemacht? Ist er Politiker geworden?
Auf den ersten Blick: Nein, natürlich nicht. Denn er hat zu Pilatus gesagt „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“ (Joh 18,36) Und er hat die römische Besatzungsmacht seiner Zeit nicht mit gewaltsamen Mitteln aus Israel vertrieben, obwohl dies viele Juden vom Messias erwarteten.
Auf den zweiten Blick sieht es aber schon etwas anders aus: Jesus gründet ein Königreich mit dem Ziel die Welt zu verwandeln. Dass da irgendwo eine politische Komponente mitbeinhaltet ist, ist eigentlich logisch. Wenn auch für manche nur „eschato“-logisch. Also im Blick auf eine verklärte Zukunft, nicht auf die jetzige Zeit.
Es gibt aber noch eine dritte Blickrichtung auf diese Frage: Sie leitet sich ganz praktisch aus den Geboten ab, die Jesus und die Apostel des Neuen Testaments den ersten Christen aufgaben. Jesus-Nachfolger sollen ihre Nächsten lieben, ihre Mitmenschen. Und weil unsere demokratische Gesellschaftsordnung uns dazu auffordert, die Gesellschaft verantwortlich mitzugestalten, sind Christen aufgerufen mitzuwirken! Sicherlich müssen das nicht alle Christen aktiv tun. Aber wenn in jeder Gemeinde darauf geschaut würde, dass auch einige Gemeindeglieder politisch-gesellschaftlich aktiv sind, dann wäre dieser Bereich gut abgedeckt. Leider hat sich diese Überzeugung noch nicht überall durchgesetzt. Es kursieren weitgehend ähnliche Vorurteile, die dies verhindern.
Nicht durch „Heer oder Kraft“
„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth“ in Sacharja 4,6. Gottes Reich wird nicht über die menschliche Staatsgewalt aufgerichtet! Aber das ist auch gar nicht das, was Christen tun sollen, wenn sie sich politisch engagieren.
Der Staat hat nämlich eine andere, eine legitime Aufgabe. In der lutherischen Tradition mit Bezug auf Römerbrief Kapitel 13,1 ff gibt es den Begriff der „Schwertgewalt“ des Staates (Röm 13). Sie ist von Gott eingesetzt mit dem Zweck, die Eskalation der Sünde in der unerlösten Gesellschaft einzudämmen. Gewalt und Unrechtspiralen zu verhindern bzw. zu unterbrechen, ist wichtig. Ohne diese Eindämmung würde es in jeder menschlichen Gesellschaftsform drunter und drüber gehen. Damit wird das Leid reduziert! Und das liegt Gott noch viel mehr am Herzen als uns Menschen, die sich oft erst damit beschäftigen, wenn es uns selbst oder uns Nahestehende trifft.
Der gute Staat dient
Aber diese Schwertgewalt des Staates durch Polizei, Militär oder Geheimdienste ist keine dauerhafte Lösung für unsere Welt. Dem Grundproblem der menschlichen Neigung zu sündigen und sich an den Mitmenschen zu vergehen, wird nicht der Zahn gezogen. Bestenfalls gibt der Staat zusätzlich Impulse in die richtige Richtung. Und er soll Gutes belohnen (Röm 13,4)! Damit stellt er eine dauerhafte Funktionsfähigkeit für die menschliche Gesellschaft sicher. Die wichtigsten und lebensnotwendigsten Dinge sollten für alle funktionieren und gewährleistet sein.
Natürlich kann der Staat auch missbraucht werden, beispielsweise um die eigene Bevölkerung zu unterdrücken oder andere Völker zu beherrschen. Dies ist aber genau das, was es zu verhindern gilt! In Röm 13,4 ist der Staat „Gottes Dienerin“, die den Menschen dient. Und genau deshalb ist es nicht egal, wer die Politik macht, damit der Staat seinen guten Zweck erfüllen kann.
2. Wie sieht eine „weise“ christlich geprägte Politik aus?
Stellen wir uns die Frage zuerst einmal andersherum: Was wird verpasst, wenn Christen nicht in die Politik gehen?
- Christen haben viel durch Gottes Offenbarung, Jesus und die Bibel gelernt. Die ganze Fülle dieser Weisheit entgeht dem politischen Diskurs. Ebenso fehlt der reiche Erfahrungsschatz christlicher Gesellschaftsphilosophie, die sich in Europa und weltweit über Jahrhunderte angesammelt hat, um den Herausforderungen zu begegnen.
- Wir überlassen es den Nicht-Christen die unangenehme Arbeit zu machen. Diese haben dabei oft viel schlechtere Voraussetzungen auf psychologischer Ebene das Erlebte zu verarbeiten. Sowohl als Politiker, der die Entscheidungen verantworten muss, als auch in der Exekutive in Polizei, Verteidigungsmilitär oder beim Geheimdienst (zur Terrorismus-Prävention). Die Verantwortlichen erleben viel Schlimmes und müssen unter Umständen zu extremen Maßnahmen greifen, die mit eigener Schuld beladen sein können. Christen wissen, an wen sie sich in solchen Situationen wenden dürfen.
Was geschieht Gutes, wenn Christen aktiv werden?
- Wenn künftig wieder bekennende bzw. biblisch-christliche Parteien und Politiker eine Stimme in der politischen Öffentlichkeit haben, dann bringen sie das Bewusstsein in die politische Kultur zurück, dass jede Art von Politik ihre eigenen Glaubensgrundlagen hat! Die Linken, die Grünen, FDP, CDU und SPD und auch die AfD haben andersartige weltanschauliche Grundannahmen, aus denen sie ihre Werte und Konzepte ableiten.
- Die Weisheit des Schöpfers wird in die politischen Diskussionen eingespeist. Unterschätzen wir das nicht. Das betrifft Talkshows, die täglichen Nachrichten, die Parlamente und den „Wahl-o-mat“!
Ein herausfordernder Dienst
Wenn Christen in die Politik gehen, ist das ein herausfordernder Dienst an den Mitmenschen! Wer Ruhm und Anerkennung sucht oder einfach Karriere machen will, sollte es besser in anderen Branchen versuchen. Welche Politiker sind schon ehrenhaft aus ihrem Amt geschieden. Und selbst wenn sie länger im Amt waren – wie viele diffamierende Artikel wurden über sie verfasst?
Wer in die Politik geht, braucht als Christ selbst sicheren Zugang zu Gott als Quelle der persönlichen Anerkennung. Wer mangelnde Anerkennung in der eigenen Gemeinde stattdessen in einer christlichen Partei bekommen will, wird keine politische Weisheit entfalten. Wer ein Mangel-Christsein mit dem Innehaben politischer Ämter überdecken will, wird frustriert aufgeben. Wer das Evangelium von Jesus Christus verstanden hat, weiß aber, dass wir in unserem Dienst aus dem überfließenden Segen Gottes weitergeben! Damit sind Christen tendenziell besser gerüstet als andere, die diese Befreiung und Ausstattung nicht erfahren haben.
3. Wie vermeidet man es, mit gut gemeintem Einsatz die Gegner eines christlichen Einflusses auf die Gesellschaft zu mobilisieren?
Ein markantes Argument, warum Christen besser nicht parteipolitisch aktiv werden sollten, wurde einst in den Niederlanden von einem bekannten Prediger vor einer Parlamentswahl formuliert: Wenn Christen offen erkennbar politisch antreten, beginnen sich die Gegner eines christlichen Einflusses auf die Gesellschaft erst richtig zu mobilisieren. (Interessanterweise erreichte die „ChristenUnie“ in den Niederlanden bei dieser Wahl einige Prozent mehr und kam damit sogar in die Regierungskoalition.)[1]
Das Motiv hierbei, sich nicht zu engagieren, ist Furcht. Und teilweise stimmt es. Denn aus dem Römerbrief wissen wir um den Zusammenhang, dass wer Menschen mit Gottes Geboten (dem Gesetz) konfrontiert, der bewirkt automatisch die Rebellion „des Fleisches“ (Röm 7,14 ff). Wer in der Sünde gefangen ist, kann dann oft gar nicht anders als ablehnen, auch wenn er es theoretisch besser weiß. Widerstand ist normal, wenn Christen auftreten.
Gottes Charakter spüren
Allerdings lernen wir im Römerbrief auch, wie Gott dieses Problem überwindet: Menschen müssen Gottes Charakter, seinen Willen, den Menschen aus dieser vertrackten Situation zu retten, und seine Gnade erleben – das ermöglicht der Welt die Einsicht, dass Gott es gut meint mit uns. Gottes Güte führt zum Umdenken! (Röm 2,4)
Im gesellschaftspolitischen Kontext gibt es zwei Arten von Weisheit, die den Charakter Gottes sichtbar machen, sachbezogene und personenbezogene:
- In der politischen Sachentscheidung geht es nicht darum alle biblischen Gebote mit staatlicher Gewalt „durchzudrücken“. Es gilt zu unterscheiden zwischen bestimmten fundamentalen Rechten und Pflichten (beispielsweise für einen umfassenden Lebensschutz) und Lebensbereichen, die in einer „gefallenen Schöpfung“ von Seiten des Staates notlindernd aber nicht ideal geregelt werden können (beispielsweise in der Familiengesetzgebung). Ein „weises“ Gesetz speist sich aus der Wahrheit und einer sinnvollen Regelung kann man anmerken, dass sie weise ist.
- Die Persönlichkeit der Politiker muss Gottes Charakter widerspiegeln. Man muss ihnen abspüren, dass sie es durch und durch gut meinen – sowohl mit den staatlich zu setzenden Grenzen und Richtlinien als auch mit den Menschen, die es jeweils betrifft. Dann können sich auch Nicht-Christen für christliche Politik erwärmen. Auch wenn es nicht alles verstanden oder benannt werden kann, merkt der Wähler: da ist „ein Guter am Werk“.
Jesus hat Gegner mobilisiert
Doch seien wir uns bewusst: Auch Jesus hat seine Gegner mobilisiert – und wie (lesen sie mal im Johannes-Evangelium die Kapitel 5-9)! Es fand oft eine „Trennung in der Menge“ statt. Für Politik in einer pluralistischen Mehrparteien-Demokratie ist das eigentlich normal. Für Christen, die sich am liebsten nur in Harmonie und Einigkeit voran bewegen wollen, eher unangenehm.
Wichtig ist aber: Viele Nicht-Christen werden sich positiv entscheiden, wenn Gottes herzlich-gutes Wesen und seine geniale Weisheit in der Sache und den Personen politischer Aktivitäten spürbar ist. Die Geschöpfe werden ihren Schöpfer im Hintergrund wiedererkennen, auch unbewusst.
4. Nicht Rechts oder Links vom Pferd fallen!
Bin ich mir bewusst, dass man „rechts und links“ vom Pferd fallen kann und ich damit nicht Gottes Weisheit spiegle, sondern nach der Weisheit der Welt denke und in ihren Ideologien gefangen bin?
Variante A: Bin ich selbst zu sehr „neokonservativ“ (knallharte Marktwirtschaft, kombiniert mit nationalen und bürgerlichen Interessen der Besitzstandswahrung)? Dann werden mich andere Christen im Blick auf die entstehenden gesellschaftlichen sozialen Schieflagen fragen: Wo ist Gottes Charakter?
Variante B: Bin ich selbst zu sehr „linksliberal“ (der Staat sollte ethische Grundfragen zu Abtreibung, Homo-Ehe usw. ins Ermessen des Einzelnen stellen)? Dann werden mich andere Christen im Blick auf die entstehenden gesellschaftlichen Tragiken fragen: Wo sind Gottes gute Ordnungen?
Wer weise Politik den Wählern anbieten will, kann nicht mehr klassisch in „rechts“ und „links“ denken. Bündnis C liefert als christich-innovative Partei einerseits das, was die konservativen Parteien nicht bieten. Der CDU fehlt die Wahrheit, dass die Schöpfung ohne die Grundregeln des Schöpfers nicht mehr funktionieren kann. Die AfD lässt nicht nur die Liebe vermissen, sondern sie benutzt Hass, Wut und nationale Habgier als Antriebskräfte. Biblische Weisheit agiert stattdessen mit Wahrheit und Liebe in der Politik.
Andererseits muss christliche Politik auch ökologisch und sozial sein. Denn am Umgang mit den Schwächsten der Gesellschaft erkennt man, wes Geistes Kind wir sind. Linkes, marxistisches Denken beruht dabei auf Feindschaft zwischen den Klassen und produziert Verteilungskämpfe. Biblische Weisheit benennt das Unrecht, stiftet Beziehung zwischen Arm und Reich und sorgt für einen Ausgleich. Dafür entwickelt Bündnis C mit einem beziehungsorientierten Ansatz (Relational Thinking) innovative Lösungsansätze jenseits von Rechts und Links.
Andreas Wolff
Stellvertretender Bundesvorsitzender, Landesvorsitzender Bündnis C Rheinland-Pfalz
[1] Vgl. Rob Nijhoff, Political Wisdom. A furture for Christian politics (Sallux Publishing, 2017), S. 13.