Von der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, der Denkfabrik der 68er Kulturrevolution, wurde die sogenannte „Umbegreifung der Begriffe“ geprägt. Es war das erklärte Ziel, mittels Neuprägung christlich fundierter Begriffe das Bewusstsein der Gesellschaft zu verändern. Auf ihrem „Marsch durch die Institutionen“ – vor allem der Familie, des Bildungssystems, der Medien und der Kirchen – wurden im Namen des Fortschritts und der Modernisierung Inhalte vormals christlichen Denkens und Handelns vom ideologischen Hintergrund des Marxismus her neu gefüllt und damit eine neue Moral etabliert.

In nahezu allen politischen Fragestellungen finden wir heute die Polarisierung gegensätzlicher Positionen, die in der Regel mit „Links“ oder „Rechts“ etikettiert werden. Dahinter stehen Ideologiegebäude, die über Jahrhunderte das Denken in Europa geprägt haben. Als Christen sind wir von diesen Ideologien gleichermaßen beeinflusst. Fatalerweise wurde an vielen Stellen die Botschaft der Bibel ideologisch instrumentalisiert oder von Christen für den politischen Zeitgeist passend gemacht. Um unserem Auftrag christlich fundierter Politik gerecht zu werden, müssen wir unterscheidungsfähig werden, geübt darin, das Wort Gottes als Schwert des Geistes zu gebrauchen, um Wahrheit und Fälschung in unseren Gedanken und Haltungen zu erkennen (Hebräer 4,12). Es geht darum, die Ideologiegebäude zu schleifen, die sich gegen die Erkenntnis Gottes erheben, und unser Denken unter den Gehorsam gegen Christus gefangen zu nehmen (2Kor 10,4f). Nur in dieser Eindeutigkeit werden wir in der Politik einen sichtbaren Unterschied im Sinne des Reiches Gottes machen können.

In der Folge werden die wichtigsten Begriffe analysiert, die unser politisches Denken vor allem von der Ideologie des Neomarximus her bestimmen.

  1. Freiheit

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Der Begriff der Freiheit hat in seinem heutigen Verständnis seinen Ausgangspunkt in der Aufklärung. Immanuel Kant (1724-1804), wichtigster Denker der deutschen Aufklärung, forderte den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ und „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“  Wenn die Reformation die Emanzipation des Menschen von der Autorität der Kirche gewesen war, so war die Aufklärung die Emanzipation des Menschen von der Autorität Gottes. Nach Kant ist die Vernunft des Menschen sich selbst genug, um ohne Bindung an eine andere Instanz sich ein moralisches Gesetz zu geben. Die erste geschichtliche Umsetzung der Aufklärung war die Französische Revolution 1789 mit ihren Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und 20 000 Opfern dieser nach menschlichem Gutdünken verstandenen Ideale.

Im Menschen- und Weltbild der Aufklärung wurde die neuzeitliche Freiheit des Menschen begründet und seine Autonomie von Gott. Sie bereitete dem Humanismus das Feld, in dem der Mensch mit seinem Denken, Fühlen, Wollen und Handeln zum Maß aller Dinge wurde. Auf dem Boden dieses von den Maßstäben der Bibel losgelösten Denkens konnten die zahlreichen Ideologiegebäude entstehen mit ihren gegensätzlichen Vorstellungen darüber, was für unsere Gesellschaft gut oder schlecht ist.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein fühlten sich die Menschen dennoch weiter ihren Mitmenschen verpflichtet und trugen füreinander Verantwortung vor allem in der (Groß-) Familie und ihren unmittelbaren sozialen Bezügen. Erst mit der massiven Individualisierung der Gesellschaft im 20. Jahrhundert wurden diese Bezüge immer mehr aufgelöst. Der Einzelne wurde nicht nur autonom von Gott, sondern zunehmend auch von seinen Mitmenschen gesehen. Die christliche Ethik, basierend auf dem Liebesgebot Jesu als Erfüllung der Zehn Gebote, hatte bis dahin traditionell Sozialcharakter. Man war füreinander und für die Gemeinschaft verantwortlich. Im Zuge des Individualismus entstand eine neue Ethik der „Pflichten gegenüber sich selbst“. Wo bis dahin der Einzelne sich den Interessen der Gemeinschaft unterordnen musste, wurden nun die Rechte des Individuums wichtiger als das Gemeinwohl. Der Liberalismus vertritt die Freiheit des Einzelnen als obersten Wert.

Die Inhalte, wozu der Mensch frei ist, wurden im humanistischen Denken der westlichen Gesellschaft bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch weitgehend in Anlehnung an die christliche Ethik gefüllt. Nach dem Grauen der Naziherrschaft trat die 68er Bewegung jedoch an, diese Ethik zu zerschlagen, in deren Namen ihrer Meinung nach Auschwitz möglich geworden war. Anknüpfend an Marx musste vor allem die Familie als Kern der bürgerlichen Gesellschaft und Mitte der christlichen Kultur abgeschafft werden. Ein Mittel dazu war die sexuelle Revolution, die das Lustprinzip an die Stelle von Bindung und Verantwortung setzte. Der Freiheit des Einzelnen sollte durch keine Instanz mehr irgendeine Grenze gesetzt werden.   

Während die kommunistischen Systeme des 20. Jahrhunderts dem Menschen die Freiheit nahmen und ihn unter ihre marxistische Ideologie versklavten, um die bürgerliche Gesellschaft zu zerschlagen, verbreitete die 68er Bewegung und deren Nachfolger ihre neomarxistische Doktrin unter dem Deckmantel des Liberalismus im Namen der Freiheit:

Du bist frei, von allen moralischen Instanzen. Du bist frei zu beliebigen Sexualkontakten. Du bist frei, das Kind loszuwerden, wenn du dabei schwanger wirst. Du bist frei, Drogen zu konsumieren oder was immer dir den Kick gibt. Du bist frei, deinen Ehepartner zu wechseln, wenn du seiner überdrüssig bist. Du bist frei von allen Geschlechterrollen und deine sexuelle Identität zu wählen. Du bist frei, dich selbst zu verwirklichen, und von der Notwendigkeit, deine Kinder selbst zu erziehen …

Das Ergebnis ist eine Freiheit ohne Verantwortung, die sich allein an den eigenen Bedürfnissen orientiert. Diese scheinbare Freiheit atomisiert die Gesellschaft in einzelne Individuen, die leicht von staatlichen Instanzen zu lenken und zu beherrschen sind. Damit kommt der Neomarxismus weithin unbemerkt zum selben Ziel, das die sozialistischen Systeme mit Gewalt verfolgt haben.

In der Bibel ist Freiheit immer an die Verantwortung vor Gott und unseren Mitmenschen gebunden. Wir wissen, dass der Mensch in der Autonomie von Gott nicht nur diese Verantwortung verfehlt, sondern in gravierende Abhängigkeit von anderen Mächten gerät, wie zum Beispiel ideologischen Machtsystemen. Der freie Willen des Menschen verwirklicht sich nur in der Bindung an Gott als Wille zum Guten. Was gut oder böse ist, ist uns im Wort Gottes gesagt. Von dieser Grundlage her müssen und können wir die neue Moral des Neomarxismus unterscheiden und seine zerstörerische Vorstellung von Freiheit.

  1. Gleichheit

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Mit der Zerstörung der Familie verfolgte der 68er Neomarxismus die Abschaffung jeglicher Hierarchien und Autoritäten. Bereits Marx hatte postuliert, dass die Ausbeutung der Kinder durch die Eltern aufgehoben und durch außerhäusliche, kollektive Erziehung ersetzt werden muss. In der Familie wurde von den 68ern nun die Erziehung des autoritären Charakters vermutet, der den Hitlerfaschismus hervorgebracht hatte. Eine antiautoritäre Erziehung sollte am besten in Kommunen stattfinden und Kinder ohne Bindung an die Eltern hervorbringen.

Die Ablehnung vor allem der Väter ging einher mit Angriffen und Gewalt gegen Lehrer und Erzieher, gegen Staat und Polizei, gegen jegliche Grenzen, Normen, Ordnungen, Gehorsam und Verantwortung.

Respekt wird in der Folge heute gegenüber allem und Jedem eingefordert, nur nicht gegenüber Respektpersonen, als die vormals Eltern, Lehrer, ältere Menschen und Amtspersonen galten. Damit wurde gezielt das Fünfte Gebot ausgehebelt, die Eltern zu ehren (2Mose 20,12), und das Gebot, sich der Obrigkeit unterzuordnen (Röm 13). Die 68er Agenda verfolgte mit diesem Angriff auf die Säulen einer stabilen menschlichen Gesellschaft dieselbe Zerstörung der bürgerlichen Ordnung wie der Marxismus.

Im biblischen Verständnis von Gleichheit ist jedem Menschen die gleiche Würde gegeben als Geschöpf Gottes (1Mose 1,27) und jeder soll vor dem Gesetz gleichbehandelt werden (5Mose 1,17). Es ist nirgends von einer egalitären Gesellschaft die Rede, die in einer gefallenen Welt unweigerlich zum Chaos führen muss. Auch demokratische Systeme werden ohne Respekt vor den staatlichen Autoritäten zunehmend unregierbar. Und Kinder ohne Bindung, Grenzen und Erziehung verwahrlosen.

  1. Gerechtigkeit

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Mit der Wunschvorstellung einer egalitären Gesellschaft eng verbunden ist unser Verständnis von Gerechtigkeit. Der immerwährende Ruf nach sozialer Gerechtigkeit beinhaltet die Forderung, dass möglichst alle Mitglieder der Gesellschaft dasselbe haben sollen. Diese Forderung steht hinter den gigantischen staatlichen Umverteilungsprogrammen unserer Sozialsysteme. Es herrscht in weiten Teilen der Gesellschaft Konsens darüber, dass die Wohlhabenderen die staatlichen Transferleistungen für Ärmere zahlen sollen. Vorläufiger Höhepunkt dieser kultivierten Ansprüche ist die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für Jeden ohne jede Gegenleistung für die Gesellschaft.

In der Bibel ist viel von Gerechtigkeit die Rede. Deshalb wurden die vor allem von der Sozialdemokratie beförderten Umverteilungsprogramme häufig christlich begründet und damit auch die soziale Marktwirtschaft untermauert. Heute ist offensichtlich, dass mit der staatlichen Überregulierung zwar der Mittelstand abgewürgt wird, Großkonzerne sich den Regeln hingegen oft und erfolgreich entziehen und ihrerseits die Bedingungen diktieren.

Gerechtigkeit ist in der Bibel keine globale Forderung, sondern beginnt immer beim Einzelnen und seinem sozialen Umfeld. Gerechtigkeit hat ihren Ursprung in der Gerechtigkeit Gottes. Menschen werden durch Jesus Christus gerechtfertigt und dadurch befähigt, gerecht zu leben. Vom persönlichen, familiären, beruflichen und gemeindlichen Umfeld ausgehend kann eine Gesellschaft gerechte Strukturen entwickeln, in dem jeder für seinen Bereich soziale Verantwortung trägt. Ein anonymes staatliches Verteilsystem übt hingegen Macht über den Einzelnen aus, wird der individuellen Situation nicht gerecht, erzeugt aber gleichzeitig diesen Anspruch gegenüber dem System.

Als Geschöpfe Gottes sind wir höchst unterschiedlich geschaffen, haben verschiedene Begabungen und Berufungen, denen entsprechend uns Besitz und Verantwortung anvertraut wird. Es ist nirgends in der Bibel die Rede davon, dass alle dasselbe haben werden. In einer gerechten Gesellschaft sollen jedem dieselben Rechte gewährt werden. Damit ist Chancengleichheit für jeden gegeben. Und die Wohlhabenden sollen einen Ausgleich für die Armen schaffen, damit für jeden die Grundbedürfnisse gedeckt sind (Jes 58,6-8). Dies ist jedoch zuerst eine Forderung an jeden Einzelnen und sein soziales Umfeld und erst dann an ein kommunales oder staatliches System. So verstehen wir Subsidiarität.

Für uns als Christen stellt sich die Frage, ob auch wir in unserer Versorgung uns vor allem auf Vater Staat verlassen oder zuerst Gott-Vater als unserem Versorger vertrauen. Ob wir wie alle anderen vom Staat soziale Gerechtigkeit fordern oder sie mit schaffen in dem Vertrauen, dass bei Gott mehr als genug für alle da ist.

  1. Liebe

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Das Liebesgebot Jesu ist das zentrale Gebot des Neuen Testaments und Erfüllung aller Gesetze des Alten Testaments (Mt 22,39f). Es wird mit dem Begriff der agape im Griechischen bezeichnet, die sich bis zur Feindesliebe opfert. Wir kennen außerdem die Begriffe der erotischen Liebe (eros) und der brüderlichen Liebe (filia) im Neuen Testament.

Das romantische Liebesideal wurde bereits im 19. Jahrhundert zur Grundlage für die Ehe gemacht, die damit vor allem zur Gefühlsgemeinschaft wurde, wo vorher die gegenseitige Versorgung und Verantwortung im Vordergrund stand.  Diesem verkürzten Verständnis sind Ehen in epidemischem Ausmaß zum Opfer gefallen. Die 68er sexuelle Revolution hat Liebe dann generell auf das erotische Begehren reduziert und zum Gefühlsmaßstab für jedwede Geschlechterbeziehungen gemacht. Michel Foucault, einer der Vordenker der Queer-Theorien, verstieg sich zu der Antithese zu Descartes „Ich begehre, also bin ich.“ Entgegen dem Zehnten Gebot (2Mose 20,17), das das Begehren als Ursprung aller anderen Sünden auf den Index setzt, soll die Liebe zum Nächsten heute vor allem dessen Begehren als gut und richtig bejahen, egal worauf es gerichtet ist.

Die brüderliche Liebe ist in Gestalt der marxistischen Doktrin der internationalen Solidarität zum Leitbild auch der neomarxistischen Linken geworden. Aus der praktischen Liebe zum Nächsten im eigenen Umfeld wurde die Liebe zum fernen Benachteiligten, zu unterdrückten Gruppen in der Gesellschaft oder Völkern, die unterstützt werden müssen. In diesem Verständnis wurde und wird das Gebot der Nächstenliebe aus seinem Bezug der persönlichen Beziehungen gelöst und stattdessen zu politischen Zwecken instrumentalisiert. Nach staatlichen Vorgaben wird damit eine Zwangssolidarisierung der Gesellschaft betrieben, die mit Nächstenliebe nichts zu tun hat. Liebe wird freiwillig gegeben oder es ist Nötigung.

Den Feinden der eigenen Weltsicht schlägt hingegen keine Liebe, sondern Diffamierung, Gesinnungsterror und Diskriminierung bis hin zu offener Gewalt entgegen wie im Linksextremismus. Gegen diese antidemokratische Machtausübung formiert sich nun überall in Europa eine Gegenfront aus Nationalismus und Konservativismus, die ihrerseits mit Verachtung, Wut und Hass zurückschlägt – und damit die christliche Kultur erhalten will.

In diesem ideologischen Kampffeld fehlt es auf beiden Seiten an der Agape-Liebe als Ursprung der christlichen Kultur. Sie wird im Neuen Testament am häufigsten genannt und wurde von Jesus Christus vorgelebt bis zum Tod. Keine brüderliche oder erotische Liebe kann in Konflikten Bestand haben, Familien und die Gesellschaft zusammenhalten, wenn Menschen nicht bereit sind, darüber hinaus zu wachsen, auch ihren Feind zu lieben und in Beziehungen Opfer zu bringen. Das christliche Zeugnis besteht in Wahrheit und Liebe.

An diesem Liebesgebot Jesu setzt das Beziehungsdenken des Relationismus an, um die Begriffe und die Botschaft der Bibel wieder in ihrem umfassenden Gehalt für das Zusammenleben unserer Gesellschaft fruchtbar zu machen.

Karin Heepen
Bundesvorsitzende