Es folgt die Rede zum Thema Digitalisierung von Arne Gericke, MdEP, beim Kongress Christlicher Führungskräfte 2019 in Karlsruhe.

Mein Name ist Arne Gericke. Ich bin Europaabgeordneter seit 2014. Seit einigen Monaten bin ich Abgeordneter für die Partei Bündnis C. Ich habe die Partei gewechselt, weil ich mich mit meinem christlichen Hintergrund händeringend eine Partei gesucht habe, die ein christliches Profil hat und dieses auch ernst nimmt. Das macht nicht jede Partei.

Ich will heute mit Ihnen über Digitales sprechen. Ein Thema, für das wir in Europa wichtige Entscheidungen treffen müssen, und auch zu diesem Ort hier passt: denn hier wurde die erste E-Mail in Deutschland empfangen, habe ich mir sagen lassen. Die Politik hat längst erkannt, dass wir die großen Themen nur gemeinsam lösen können. Da gehört der digitale Wandel dazu. Ich möchte auf 4 Punkte eingehen, die gerade zur Debatte stehen, und die uns als christliche Führungskräfte oft vor schwierige Entscheidungen zwingen: Digitalsteuer, autonomes Fahren, der 5G Ausbau und die Urheberrechtsreform.

DIGITALSTEUER

Ein Thema das brandaktuell ist, ist die sogenannte Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Dazu hat die Kommission einen Vorschlag erarbeitet – aber es ist alles noch recht vage. Denn was ist die digitale Wirtschaft genau? Wenn Sie einen Online-Shop haben, ist das schon digitale Wirtschaft?
Da sind noch viele Fragen offen, aber was schon klar ist: Wenn die EU von digitaler Wirtschaft redet, dann meint sie meist die ganz großen: Twitter, Google oder Facebook. Und obwohl keines dieser Unternehmen in Deutschland sitzt, ist das ein großes Problem für die deutsche Wirtschaft.
In Zeiten, in denen die USA Handelskriege anfangen, wird es schwierig, große US-Unternehmen zu besteuern. Amerika hat schon angedroht, dass es dann Zölle auf Automobile und Maschinen geben wird. Also muss man zuerst mit den USA einen Weg finden, sonst wäre die deutsche Wirtschaft und unsere Bevölkerung die Leidtragenden.
Deswegen können sich die Mitgliedstaaten auch nicht auf eine Europäische Lösung einigen und es ist jetzt nur noch ein Kompromiss im Gespräch. Eigentlich war angedacht, die Körperschaftssteuer europaweit zu ändern. Damit wollte man die Steuern dort einholen, wo die höchste Interaktion mit dem Nutzer entsteht.

Das Ganze ist sehr komplex und Wissenschaftler vom Ifo Institut und von Think Tanks grübeln jetzt wie das gehen soll.

Wir haben Zahlen, die ganz konkret in Deutschland erhoben werden. Das sind die Werbeumsätze. Wahrscheinlich schalten ja auch hier einige im Raum Werbung auf Facebook oder Instagram, oder bei Google Ads. Dann zahlen Sie einen bestimmten Betrag an eines der Unternehmen, um Menschen in Deutschland zu erreichen. Das wäre eine Zahl, um eine einigermaßen faire Besteuerung hinzubekommen. Aber geben wir der Wissenschaft etwas Zeit, vielleicht kommen da ja noch andere Ideen. Es arbeiten ja auch schlaue Leute beim ifo-Institut.

Das Problem und das Gute mit der Digitalsteuer auf Werbeeinahmen ist: Es wäre eine Umsatzsteuer, die nicht wie der Gewinn von Facebook runtergerechnet werden kann. Das können nur die großen, Mittelständler haben diese Möglichkeit nicht. Eine Umsatzsteuer finde ich im Digitalen Sektor aber absolut vertretbar, denn sie haben keinen Wareneinkauf und kaum Stückkosten. Sie haben eigentlich nur Fixkosten für Server und für die Entwickler.

Also Umsatzsteuer auf Werbeeinahmen für Facebook, Google und CO. Halte ich für einen gangbaren Weg. Aber: Deutschland blockt zurzeit auf EU Ebene, wegen der möglichen Zölle auf Autos in den USA. Das heißt aber nicht, dass es keine Bewegung in dem Thema gäbe:

Zwei unserer Nachbarländer wollen diese Steuer nämlich unbedingt. Frankreich hat gesagt, sie geben der EU bis März Zeit, um einen Kompromiss zu finden. Ansonsten machen sie einen nationalen Alleingang. Auch Sebastian Kurz, der österreichische Bundeskanzler, hat eine Digitalsteuer angekündigt.

Wichtig ist, dass eine Digitalsteuer nicht nur ausländische Unternehmen trifft, sondern gleichermaßen für eine gewisse Unternehmensgröße angewandt wird. Hier müssen wir Verantwortungsvoll und fair mit der Wirtschaft umgehen.

Der Zug hat sich also in Bewegung gesetzt. Wenn wir eine europäische Lösung finden, wird sich auch Deutschland einer Digitalsteuer nicht weiter verweigern. Auch nicht aus Angst vor Strafzöllen der USA. Mit Feindbildern kommen wir hier nicht weiter. Die deutsche Regierung muss hier wie gesagt zuerst mit Amerika eine Übereinkunft erzielen. Das ist, was wir unter einem konföderalen Europa verstehen, dass neben europäischen auch bilaterale Vereinbarungen möglich sind, die wiederum Europa insgesamt zum Guten dienen. Und das können wir.

AUTONOMES FAHREN

Ein anders Thema, das im Europäischen Parlament intensiv diskutiert und besprochen wird, ist das Autonome Fahren. Hier sind Deutschland und Europa im Hintertreffen und es besteht die Gefahr, dass wir uns die Entscheidungen durch vollendete Tatsachen außereuropäischer Firmen aus der Hand nehmen lassen. Es muss aber zuerst politisch die Frage gestellt und beantwortet werden, ob wir das überhaupt wollen. Denn das stellt nicht nur die Wirtschaft vor Herausforderungen, sondern vor allen den Gesetzgeber.

Wir haben im Parlament einige Berichte – nicht legislativ aber immerhin Empfehlungen und Standpunkte – über autonomes Fahren und künstliche Intelligenz. Da wäre die Frage, darf man so ein Fahrzeug fahren, ohne selber einen Führerschein zu haben? Sollte man das überhaupt selbst fahren dürfen, wenn das Auto viel besser fährt? Sollte es einen Unfall
geben mit einem selbstfahrenden Auto: Wer ist schuld und wer bezahlt das? In Arizona, in den USA testen sie gerade autonom fahrende Autos und es gab einen tödlichen Unfall. Wer ist jetzt schuld? Der Karosseriebauer, der Software-Entwickler, der Sensorhersteller, der Ingenieur, der alles zusammengesetzt hat, oder vielleicht doch das Auto an sich? Kann das Auto eine Person sein, die Verantwortung trägt? Sicher nicht. Denn dann würde zukünftig künstliche Intelligenz über den Menschen herrschen und ihm als Person die Verantwortung und die Würde nehmen. Zumindest als Christen haben wir kein technisiertes, rein materialistisches Menschen- und Weltbild. Hier muss der Mensch die letzte Verantwortung behalten. Maschinen haben Rechenprogramme, aber keine Ethik.

Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Trolley-Dilemma. Trolley ist englisch für Straßenbahn. Es ist eine uralte philosophische Frage, die geht so: Wenn ich einen Zug sehe, der auf fünf Menschen zusteuert, darf ich dann die Weiche umstellen, damit nur ein Mensch getroffen wird, der auf dem Nachbargleis steht? Auch ein selbstfahrendes Auto kann vor diesem Problem stehen und wird das eventuell in Zukunft entscheiden müssen – durch Algorithmen, die man dem Auto vorher eingepflanzt hat. Aber die ethische Fragestellung entscheiden die Programmierer im Voraus. Während ich als Autofahrer situationsbedingt entscheide und intuitiv. Was ist besser?

Als Christ weiß ich, dass viele Situationen im Leben nicht in meiner Hand sind und ich deshalb für so eine Vorab-Entscheidung über Leben und Tod nicht treffen kann. Ich bin verantwortlich dafür, wie ich mich in der Situation entscheide und sie bewältige. Und ich weiß mich in dieser Verantwortung von Gott abhängig, von seiner Führung und Bewahrung, und dass unser Leben in letzter Instanz in Seiner Hand ist. Diese Verantwortung vor Gott und Menschen dürfen wir uns niemals von Maschinen abnehmen lassen. Roboter haben weder Seele noch Geist, noch einen eigenen Willen.

5G Internet

Bevor wir alle in selbstfahrenden Autos sitzen, werden wir aber wohl 5G-Internet haben. 5G so heißt die neue Technologie für das mobile Internet der Zukunft. Die Telekom rüstet zurzeit massiv auf, überall entstehen neue Antennen. Und wenn man sich so umhört, kann man das Gefühl haben, dass 5G der neue Heilsbringer ist. Es ist schneller, zuverlässiger und ohne diese Technologie würden wir in 10 Jahren in der Steinzeit leben.

Unsere Bildungsministerin Anja Karliczek hat gesagt, man brauche 5G nicht in jeder Milchkanne. Nun wird über das für und wider gestritten. Ich finde aber, wir sollten uns einen Moment Zeit nehmen und fragen: Wollen wir in Zukunft überhaupt an jeder Milchkanne 5G?

Das sogenannte Internet der Dinge ist in aller Munde. Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich mag meinen Toaster so wie er ist. Mich beschäftigt bei der 5G Frage etwas viel Wichtigeres: Der große Unterschied bei 5G ist, dass es höhere Frequenzen nutzt und diese Frequenzen dann keine so hohe Reichweite haben werden. Das heißt wir brauchen flächendeckend viel mehr Antennen, Sendemasten und so weiter. Der Elektrosmog wird potentiell zunehmen. Und das will heutzutage schon was heißen.

Elektrosmog und gesundheitliche Auswirkungen ist ein Thema, das kaum diskutiert wird und das auch viel zu wenig erforscht wird. Aber es gibt ein paar Studien, die lassen nichts Gutes erahnen: Eine amerikanische Forschergruppe des staatlichen „National Toxicology Program“ schreibt, dass sie in aufwendigen Experimenten auf „klare Beweise“ für die Tumorerzeugende Wirkung der Hochfrequenzstrahlung bei Ratten gestoßen sind. Die italienische Krebsforscherin Fiorella Belpoggi in Bologna kommt zum selben Schluss. Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz hatte bereits 2015 ergeben, dass Mobilfunkstrahlung die Ausbreitung von Tumoren im Körper von Mäusen erheblich beschleunigt.
Und wir sind gerade dabei unser Land flächendeckend mit Hochfrequenzmasten auszustatten. Ohne es zu hinterfragen, ohne ein wissenschaftliches Fundament zu haben. Wollen wir die Ratten sein, an denen die Auswirkungen der Hochfrequenzstrahlung ausgetestet werden?

Ich bin nicht technologiefeindlich. Aber mit dem 5G-Netz spielen wir mit unserer Gesundheit, mit der Gesundheit unserer Kinder und Kindeskinder. Unter dem Aspekt muss man wenigstens die Frage nach 5G an jeder Milchkanne klar mit Nein beantworten. Darüber hinaus müssen Technologien zur Abschirmung entwickelt werden, um Menschen wenigstens partiell vor der Hochfrequenzstrahlung zu schützen. Die Frage ist, welchen Preis wir für Hochtechnologien und immer weiteres Wachstum zu zahlen bereit sind. Wollen wir den damit zu erlangenden materiellen Wohlstand über unsere Gesundheit und die unserer Kinder stellen? Eins ist Ihnen und mir klar: Wir tragen Verantwortung für unsere Mitmenschen und für die, die nach uns kommen, die nächste Generation. Nebenbei wäre dann auch die Frage zu klären, wer den Zuschlag für den G5-Ausbau bekommt. Welche Rolle spielt Huawei, das hier viel Expertise liefert, aber an der chinesischen Regierung hängt. Ein Grund warum US-Netzanbieter Huawei gemieden hatten. Unser Internet muss frei von Spionage bleiben.

Urheberrechtsreform

Als ein letztes Thema nun noch die anstehende Urheberrechtsreform. Ein Thema, das die junge Generation gerade beschäftigt, und gegebenermaßen politisch aktiv werden lässt – was ich begrüße – ist die Europäische Urheberrechtsreform. Sie wurde über die letzten Jahre in der EU vorbereitet. Eins ist ganz klar: Urheberrechte müssen gewahrt bleiben, analog und digital. Doch was nun zur Abstimmung kommt – und Rat und Kommission haben hier schon zugestimmt – birgt einiges an Gefahren. Digitalpolitiker aus fast allen Parteien warnen vor der Umsetzung, und Experten auf dem Gebiet geben ihnen recht. Es geht hier vor allem um zwei Artikel: Der Artikel 11 und der Artikel 13. Ersterer soll ein europaweites Leistungsschutzrecht einführen. In der jetzigen Form kann das aber dazu führen, dass die großen Verlage die Gewinner sind, die kleinen Newsseiten aber zugrunde gehen. Google und Co. wird das eher weniger treffen, sie schalten ihre News-Übersicht entweder ab, wie in Spanien schon der Fall – was zu erheblichen Verlusten führte. Oder sie nehmen kostenfreie Lizenzen von Seiten mit unseriösen Nachrichten an. Noch kritischer wird es aber beim Artikel 13, der technische Maßnahmen bei Uploads von User-generiertem Content erzwingt, beispielsweise bei YouTube. Ich lade also ein Bild oder ein Video hoch, und der Plattformbetreiber muss dieses Scannen, um rechtlich auf der sicheren Seite zu bleiben. Die Gefahr von Zensur ist groß, und die Filter funktionieren nicht einwandfrei: Satire ist manchmal schwer zu unterscheiden. Mit Artikel 11 und 13 wird probiert, die US-Amerikanischen Großunternehmen der IT Branche in die Pflicht zu nehmen, aber ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für den europäischen Mittelstand. Wir haben auch hier in Europa, hier in Deutschland und hier in Karlsruhe viele wichtige IT-Unternehmen: zum Beispiel SAP, United Internet, Xing oder Datev. Wir müssen, und das sage ich gerade als Christ, uns hier ein offenes Internet erhalten, in dem Rechte gewahrt und unsere Kinder geschützt bleiben, aber das nicht zum Kontrollorgan der Zivilgesellschaft verkommt. Der digitale Wandel ist entweder zum Nutzen aller oder er wird zum Machtinstrument einiger Giganten.

Aus diesem Grund werde ich im EU-Parlament gegen die geplante Urheberrechtsreform stimmen.

Bei all den angesprochenen Themen – Digitalsteuer, künstliche Intelligenz, Elektrosmog und freies Internet – stehen wir als christlich verwurzelte Politiker in der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen, bei denen der Mensch und das Gemeinwohl im Mittelpunkt stehen. Der Mensch darf nicht zum Objekt der Technik werden. Viele fühlen sich bereits einem digitalen Machtsystem ausgeliefert, das nur noch wenige verstehen und noch weniger steuern. Hier gilt es, Grenzen zu setzen, auf Transparenz zu bestehen und die Nutzer zu schützen. Wir haben hier jetzt Zeit für Fragen. Ich freue mich auf das Gespräch mit Ihnen.